In der Ausstellung "Wer war Milli?": eine kritische Auseinandersetzung in der Kunsthalle

Autorin

Öl auf Leinwand: Ernst Ludwig Kirchner, "Schlafende Milli", 1911
Ernst Ludwig Kirchner, Schlafende Milli, 1911 Öl auf Leinwand, 64 x 92 cm Bild: Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Aktuelle Debatten um Kolonialismus, Sexismus und Rassismus tauchen auch die Werke längst verstorbener Künstler in ein anderes Licht. In der Kunsthalle Bremen wird gerade ein kritischer Blick auf ein bedeutendes Gemälde des expressionistischen Malers Ernst Ludwig Kirchner geworfen. Sein Bild "Schlafende Milli" hat einen festen Platz in der Sammlungsausstellung "Remix". Nun wird das Werk dort in einer – wie es heißt – "Intervention" von der Soziologin und Autorin Natasha Kelly sorgfältig beäugt.

Die "Schlafende Milli" von Ernst Ludwig Kirchner stammt von 1911 und zeigt die dunkelhäutige Milli, die für Kirchner öfter als Aktmodell posierte.

Natasha A. Kelly ist Soziologin, Kommunikationswissenschaftlerin, Autorin und Kuratorin. Sie wurde in London geboren und ist in Deutschland aufgewachsen. Ihre Themen sind Postkolonialismus und Feminismus. Mit Kirchners "Schlafender Milli" setzt sie sich schon länger intensiv auseinander. Als schwarze Frau habe das Bild sie berührt und neugierig gemacht, sagte sie bei der Vorstellung ihrer "Intervention" in der Kunsthalle.

Es wurde ja sehr viel zu anderen Themen recherchiert. Die schwarze Katze in den Bildern Kirchners hat mehr Aufmerksamkeit bekommen, als die schwarzen Modelle. Und das ist Arbeit, die nachgeholt werden muss.

Natasha A. Kelly
Installationsansicht Schlafende Milli (1911) von Ernst Ludwig Kirchner in der Sammlungsausstellung "Remix" in der Kunsthalle Bremen
Installationsansicht Schlafende Milli (1911) von Ernst Ludwig Kirchner in der Sammlungsausstellung "Remix" in der Kunsthalle Bremen Bild: Marcus Meyer Photography

Natasha A. Kelly hat einen kleinen Raum gestaltet, der direkt neben Kirchners Bild vom großen Ausstellungssaal abgeht. Dort werden zwei Filme von Kelly gezeigt, die von der schlafenden Milli inspiriert wurden. Außerdem hat sie die Wände gestaltet mit Texten und Kopien von Bildern sowie Skizzen von Milli oder anderen schwarzen Modellen – entweder von Kirchner gemalt, oder von Kollegen aus der Künstlervereinigung "Brücke". Außerdem Zitate aus einem Brief Kirchners, in dem er über eine Hausangestellte namens Milli schreibt. Diese "Intervention" ist also keine kunsthistorische, sondern eine sozialwissenschaftliche Annährung. Die kunsthistorische Forschung hat sich bereits sehr intensiv mit dem Bild auseinandergesetzt. Aber es wurde eben nie geforscht, wer Milli eigentlich war, beklagt Natasha A. Kelly: "Es wurde ja sehr viel zu anderen Themen recherchiert. Die schwarze Katze in den Bildern Kirchners hat mehr Aufmerksamkeit bekommen, als die schwarzen Modelle. Und das ist Arbeit, die nachgeholt werden muss."

Natasha A. Kelly, Videostill von "Millis Erwachen", 2018
Wie wurden schwarze Menschen in einer Zeit in Deutschland gesehen, als sie auf Völkerschauen ausgestellt wurden? Dieser und anderen Fragen geht Natasha A. Kelly nach. Bild: Kunsthalle Bremen

Vom Kunstobjekt zum Subjekt

Die Recherchen waren mühselig, und es bleibt offen, ob Milli Zirkusartistin, Jazztänzerin, Haushälterin oder Sexarbeiterin war – und ob sie tatsächlich Milli hieß und woher sie stammt. Natasha A. Kelly hat weniger den Künstler im Blick, als sein Modell. Aber natürlich geht es auch um die Rolle von Ernst Ludwig Kirchner. Wie hat er Milli gesehen, wie hat er sie dargestellt? Natasha A. Kelly ist dabei nicht wichtig, wie Milli von Kirchner erotisiert und exotisiert wurde, oder ob Kirchner aus heutiger Sicht ein Rassist war. Für die Ausstellungsmacherin stehen die größeren historischen Zusammenhänge und der soziale Kontext von Kunst im Kolonialismus im Vordergrund.

Erweiterter Blick auf die Darstellung schwarzer Frauen in der Kunst

Die kritische Auseinandersetzung mit dem europäischen Kunstkanon ist gerade sehr populär und entspricht dem Zeitgeist. Der postkoloniale Blick rüttelt auch an den Säulenheiligen der Moderne. Wer seine Perspektive erweitern möchte, kann das hier tun. Spannend wird die Frage, ob die Kunst hinter dem Kontext verschwinden könnte.

"Wer war Milli?" ist bis zum 30. April 2023 in der Kunsthalle Bremen zu sehen.

Installationsansicht Schlafende Milli (1911) von Ernst Ludwig Kirchner in der Sammlungsausstellung "Remix" in der Kunsthalle Bremen
Installationsansicht Schlafende Milli (1911) von Ernst Ludwig Kirchner in der Sammlungsausstellung "Remix" in der Kunsthalle Bremen

"Wer war Milli?"

"Wer war Milli?" – mit dieser Frage beschäftigt sich eine künstlerische Intervention von Natasha Kelly in der Kunsthalle Bremen. Es geht um die Darstellung schwarzer Frauen.

Bild: Marcus Meyer Photography

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 26. April 2022, 15:10 Uhr

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