Die Morgenandacht Der Hahn

Wibke Winkler
Wibke Winkler

Die Morgenandacht Der Hahn

Pastorin Wibke Winkler freut sich jetzt im Frühling an der wiedererwachten Natur: an Rehen im Unterholz, Amseln und Spatzen vor ihrem Küchenfenster und einem Adler hoch oben in den Lüften. Welche Rolle spielen Tiere eigentlich in den Geschichten der Bibel und der religiösen Tradition? In den Morgenandachten geht sie eine Woche lang auf tierische Spurensuche. Heute: der Hahn.

Bild: Bremische Evangelische Kirche

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Hoch oben thront er meist und dreht sich nach dem Wind: der Wetterhahn. Auch auf vielen Kirchtürmen sitzt er. Aber was hat ein Hahn eigentlich auf einem Kirchturm zu suchen? Hat das irgendeine besondere Bedeutung? Als Dorfkind kenne ich den Hahn vor allen Dingen als lästigen Wecker in viel zu früher Morgenzeit. Er weiß, dass die Nacht bald vorbei sein wird, während alle anderen noch schlafen. Und er behält dieses Wissen nicht für sich. Er kräht es hinaus in alle Welt, ob sie’s hören will oder nicht. Sein Schrei ist ein Weckruf.

Für einen der Freunde Jesu, für Petrus nämlich, war ein Hahnenschrei ein ganz besonders schlimmer Weckruf. Kurz bevor Jesus von den römischen Autoritäten verhaftet wird, sagt er seinen Freund:innen auf den Kopf zu, dass sie ihn im Stich lassen werden. Petrus kann sich das nicht vorstellen. Er wird immer an Jesu Seite sein! Da ist er sich sicher. Aber Jesus bleibt dabei: "Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.", sagt er zu Petrus (Lk 22,33-34). Und tatsächlich wird Petrus angesprochen in jener Nacht, nachdem Jesus verhaftet worden war. Ob er den nicht kennt, diesen Jesus? Petrus verneint. Nein, er kennt diesen Mann nicht. Petrus merkt gar nicht, was er da tut. Wieder wird er gefragt und er verneint und dann noch einmal: Ob das nicht sein Freund ist, dieser Mann aus Galiläa? "Nein, wirklich nicht", sagt Petrus, "ich kenne ihn nicht!" Und in seine Antwort hinein kräht der Hahn und Petrus und Jesus sehen sich an. Dieser Blickkontakt muss einer von den ganz fies entlarvenden gewesen sein. Petrus merkt, was er getan hat. Sicher schämt er sich ganz fürchterlich. Er läuft weg und weint – "bitterlich" heißt es (Lk 22,62).

Der Wetterhahn, hoch oben auf dem Kirchturm, erinnert an diese Begegnung und ist als eine Mahnung gedacht: Denk an Petrus, dreh dein Fähnlein nicht nach dem Wind… Und ich weiß, dass ich auch schon einmal eine Freundin im Stich gelassen habe, die mich gerade dringend gebraucht hätte. Ich erinnere mich, wie leid mir das tat und wie peinlich es mir war, dass ich ihr keine bessere Freundin war. Ich hätte im Erdboden versinken können.

Petrus war seiner beschämenden Erfahrung zum Trotz einer der ersten Menschen, die von Jesu Auferstehung erfahren haben. Er hat eine neue Chance bekommen und wurde eine prägende Gestalt im entstehenden Christentum. So kann es gehen. Wenn ich mit beim Blick auf den Wetterhahn, hoch oben auf dem Kirchturm, an mein eigenes Versagen erinnert werde, passiert übrigens etwas Wunderbares: ich muss ja hochschauen! Mein Blick geht also nicht schamhaft auf den Boden, sondern automatisch in den Himmel. Vielleicht bekomme ja auch ich noch eine Chance? Der Himmel jedenfalls ist weit und kraftvoll.

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  • Wibke Winkler

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