Die Morgenandacht Der Esel
Standdatum: 2. Mai 2022.
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Seine Füße anzufassen, bringt Glück, heißt es. Die Füße vom Esel hinter dem Bremer Rathaus. Wie es sich für ein Lastentier gehört, trägt er die anderen drei Bremer Stadtmusikanten auf dem Rücken. Und seine Füße sind schon ganz hell poliert, weil viele Menschen dort ihr Glück versuchen. Der Esel trägt es mit der ihm eigenen Geduld. Aber selbst als Lastentier, denke ich mir, ist es für ihn bestimmt nicht leicht, neben Hund, Katze und Hahn noch eben die Hoffnung der Menschen auf ein bisschen Glück zu schultern.
Von einem Esel, der Hoffnung schürte, erzählt auch die Bibel. Jesus reitet auf einem Esel, als er nach Jerusalem kommt. In die Stadt, in der er verhaftet und schließlich am Kreuz hingerichtet wurde. Jesu Eselsritt ruft einen Text wach aus dem Propheten Sacharja: "Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen." (Sach 9,9) Mit seinem Einzug in Jerusalem steht Jesus am Anfang vom Ende. Aber empfangen wird er wie ein König: Die Menschen am Wegesrand jubeln. Sie erhoffen sich viel von ihm. Sie erwarten einen Retter. Einen, der endlich Schluss macht mit all‘ der Gewalt. Mit der Fremdherrschaft, der Besatzung. Mit dieser Erwartung jubelt die Menge Jesus zu. Aber er wird ihre Erwartungen enttäuschen. Denn er macht zwar in der Tat Schluss mit all der Gewalt. Aber ganz anders als gedacht: Jesus kommt wie ein König, aber nicht hoch zu Ross. Ein König ohne Pferd? Sonst hatten sie alle Pferde: die Römer, die Assyrer, die Babylonier…
Und manch einer versucht ja auch heute, mit Pferdestärke Macht zu demonstrieren… Jesus hingegen kommt auf dem Esel daher. Heute würde er wohl eher das Fahrrad wählen, aber wohl nicht das teure E-Lastenrad, sondern eher ein klappriges Gestell, eins, das man in meiner Kindheit passenderweise noch "Drahtesel" genannt hat. Jesus macht dann tatsächlich Schluss mit der Gewalt. Aber anders und radikaler als gedacht: Er verzichtet auf sie. Auf ihre Demonstration und auf ihre Ausübung. Bis zur letzten Konsequenz. Er wird verhaftet, verurteilt, hingerichtet. Seinem gewaltvollen Tod zum Trotz hat Jesus viele Menschen inspiriert.
Weil sie glauben, dass Gott damit gezeigt hat, dass auch er nicht hoch zu Ross unterwegs ist. Sondern sich mit den Leuten solidarisiert, die zu Unrecht verhaftet werden, verurteilt, hingerichtet oder ermordet. Christ:innen glauben, dass Gott den Tod, den Jesus gestorben ist, überwunden hat mit der Kraft des Lebens. Sie glauben und hoffen, dass das Leben siegt, wie finster auch die Zeiten seien. Aus diesem Glauben ziehen sie eine geradezu unanständig große Hoffnung: Auf Frieden, der auf einem Esel daherkommt. Ohne Pferdestärke, ohne Gewalt. Dafür mit Geduld und bereit, viel, wenn nicht gar alles, zu schultern. Was wäre das für ein Riesenglück! Wenn ich das nächste Mal hinter‘m Bremer Rathaus lang komme, streichle ich dem Esel vielleicht auch mal die Füße…