Was wir lesen Buchmesse: 5 Romane aus dem Gastland Spanien, die Sie lesen sollten
Standdatum: 17. Oktober 2022.
Spanien ist viel mehr als nur ein sonniges Urlaubsland. Das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse hat zum Beispiel eine vielfältige Literaturszene zu bieten. Und in die wollen wir mit Ihnen eintauchen – mit 5 Romanen, in denen wir Spanien und seine Menschen neu kennenlernen.
1 Elisa Levi, "Anderes kenne ich nicht": eine junge Frau, ein Dorf und die Sehnsucht
Lea ist 19 Jahre alt und sitzt auf einer Bank am Rande des kleinen Dorfes, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hat. Neben ihr sitzt ein Mann, der von woanders kommt und den sie nicht kennt. Lea erzählt ihm von ihrem Leben im Dorf. Sie erzählt von ihrer Schwester Nora, die ohne sie nicht leben kann. Sie erzählt von ihrem Vater, den ihre Mutter vermisst. Von der Großmutter, die die Mutter nicht vermisst. Von den Fremden, die nun im alten Haus ihrer Großmutter wohnen. Und sie erzählt von ihren Freunden und den anderen wenigen Menschen, die in dem Dorf leben. Die nichts anderes kennen als das, und sich damit zufriedengeben – im Gegensatz zu Lea.
Warum sich das Lesen lohnt
Der Roman erzählt so schön von der Sehnsucht nach einem anderen Leben. Und das in einer Sprache, die auch in der deutschen Übersetzung die Melodie des Spanischen trägt.
2 Andrés Barba, "Die leuchtende Republik": wilde Straßenkinder und hilflose Erwachsene
Eine Gruppe Straßenkinder versetzt die fiktive Provinzstadt San Cristóbal in Angst und Schrecken. Woher die Kinder kommen, weiß niemand. Sie verständigen sich in einer Geheimsprache und sie werden immer gewaltbereiter: Die Bande verwüstet die Stadt, begeht Überfälle und tötet sogar. Nachdem sich immer mehr heimische Kinder der Bande anschließen, tun sich die Erwachsenen von San Cristóbal zusammen, um die Kinder ein für alle Mal zu besiegen. Der Autor Andrés Barba stellt dabei unsere Vorstellungen von kindlicher Unschuld und erwachsener Reife auf den Kopf. Inspirieren lassen hat sich Barba von einer real existierender Kinderbande, die in den achtziger Jahren in russischen U-Bahn-Schächten lebte.
Warum sich das Lesen lohnt
Barba erzählt die unglaubliche Geschichte von San Cristóbal so, wie es sich für das Thema gehört: emphatisch, verstörend, vielschichtig, unsicher und bildreich. Dabei zeigt er eindrücklich, wie stark die Emanzipation von Kindern die Welt der Erwachsenen erschüttern kann.
3 Berna González Harbour, "Goyas Ungeheuer": ein kunstvoller Kriminalroman
Ein entführter Welpe, tote Truthähne und eine ermordete Kunststudentin – eigentlich ist Comisaria Maria Ruiz nicht im Dienst, doch sie ermittelt trotzdem. Warum erinnern die Tatorte an Bilder und Zeichnungen des spanischen Malers Francisco de Goya? Und ist es Zufall, dass die Kunststudentin Sara ausgerechnet zu Goya forschte? Während die Polizei von einer Eifersuchtstat ausgeht, vermutet Ruiz, dass mehr hinter den Gräueltaten steckt. Auf der Suche nach dem Täter durchstreift sie Madrid, entdeckt unbekannte Orte, besetzte Häuser und die Kanalisation der Stadt. Und sie entdeckt Goya für sich, lernt seine Werke mit anderen Augen zu sehen.
Warum sich das Lesen lohnt
Die Autorin Berna González Harbour verknüpft geschickt Goyas Zeit mit Spaniens Gegenwart, lenkt den Blick auf Missstände und gesellschaftliche Probleme. Ein dichter, gelungener Kriminalroman, der interessante Einblicke in das Leben in Madrid zwischen Tradition und Moderne liefert.
4 Antonio Muñoz Molina, "Tage ohne Cecilia": Was passiert, wenn die eigenen Welt zerfällt?
Endloses Warten, ohne dass Cecilia kommt. Hingebungsvoll richtet ihr Mann die neue Wohnung in Lissabon ein, bis alles genauso aussieht wie im Apparte ment in New York. In Portugal will das Paar das alte Leben hinter sich lassen. Denn die Anschläge vom 11. September waren vor allem für Cecilia ein traumatisches Ereignis. Und weil dem Mann der verhasste Job in der Finanzbranche gekündigt wurde, liegen viele Hoffnungen auf diesem Neustart. Aber Cecilia ist beschäftigt mit Forschungsprojekten. Beim Warten merkt der Mann, dass nicht nur die Welt um ihn herum zerfällt. Auch ihm scheint etwas entglitten zu sein.
Warum sich das Lesen lohnt
Wenn Gewissheiten verschwimmen, stellt sich die Frage, was im Leben bleibt und wo man sich selbst verorten kann. Ein atmosphärischer Roman mit einem überraschenden Ende.
5 Sara Mesa, "Eine Liebe": Psychogramm einer zerstörerischen Liebe
Natalia, genannt Nat, ist Anfang Dreißig und steckt in einer Krise. Deshalb hat sie ihren Job als Übersetzerin gekündigt und ihr bisheriges Leben hinter sich gelassen. In einem kleinen spanischen Dorf wagt sie einen Neuanfang. Dass das nicht gut gehen wird, ist von der ersten Seite an klar: Die Dorfbewohner verschlossen, die Landschaft öde, der Berg bedrohlich, der Vermieter aufdringlich, der Hund ängstlich, das Haus düster. Außerdem regnet es durchs undichte Dach mitten ins Wohnzimmer. Einer der Dorfbewohner macht Nat ein unmoralisches Angebot: Sex gegen Dachreparatur. Aus einem aufgenötigten Geschlechtsakt entwickelt sich eine zerstörerische Liebe.
Warum sich das Lesen lohnt
Es sind nur ein paar Monate im Leben von Nat, nicht mal eine Zahnpastatube verbraucht sie in dieser Zeit, aber jede Sekunde steckt voller Spannung. Mit wenigen Bildern werden bedrückende Atmosphären geschaffen und das Psychogramm einer jungen Frau gezeichnet, mit der man zunächst mitleidet – die sich aber allmählich vom Opfer zur Täterin entwickelt. Hinter allem steht auch die ganz große Frage, was Liebe eigentlich ausmacht.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 17. Oktober 2022, 09:38 Uhr