Die Morgenandacht Widerliche Worte
Stand: 27. August 2023.
Die Morgenandacht Widerliche Worte
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- Verfügbar bis: 26. August 2025 Informationen zur Verweildauer
"Kein Platz für Gewalt". So heißt eine aktuelle Veranstaltungsreihe der Bremischen Evangelischen Kirche. Sie setzt sich mit den Themen "Gewalt" und "sexualisierte Gewalt" auseinander. Die Morgenandachten dieser Woche sind Teil dieser Reihe.
Immer, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, ging ich unter die Dusche. Ich fühlte mich nicht gut. Auf meiner Haut war so ein schmieriges Gefühl. Als hätten die Worte eine eklige Ablagerung hinterlassen.
Er hat mich nie angefasst, ich wurde nicht vergewaltigt. Es waren seine Worte, die mich bedrängt haben. Leise und verschwörerisch mir zugeraunt. Geschichten, Fantasien, seelsorgerliche Anliegen, für die ich ein Ohr haben sollte.
All seine Probleme drehten sich um Sex. Um Erektionsprobleme und seine frühere Standfestigkeit. Um seine Prostata.
Ich war jung. Ich war unerfahren im Beruf. Ich hatte mit dieser Art von männlichen Machtspielchen noch keine Erfahrung. Ich dachte immer nur, ich sei eine schlechte Seelsorgerin, weil ich ihm kaum zuhören konnte.
Und immer, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, ging ich unter die Dusche. Ich fühlte mich nicht gut.
Fast zwei Jahre habe ich dann mit niemanden über diese Erfahrung gesprochen. Nicht mit Kolleginnen. Nicht mit Freundinnen. Nicht mit meinem Mann.
Und wann immer ich an diese Gemeinde dachte, ging ich unter die Dusche. Ich fühlte mich nicht gut.
Es war eine Fortbildung, die mir die Augen öffnete. Eine Fortbildung, die uns kirchliche Mitarbeiter*innen sensibilisieren sollte für das Thema sexualisierte Gewalt. Wie wir ihr vorbeugen können.
Da saß ich dann. Und fühlte mich nicht gut. Es war so ein klebriges Gefühl auf meiner Haut.
Ich fand unter vier Augen das erste Mal Worte für die Erfahrung.
Ich habe all seine Geschichten, Fantasien, Erektionsprobleme auf den Tisch gelegt. Weg von mir.
Und dann stand diese Frage im Raum.
Was machen wir damit? Habe ich den Mut ihn zu konfrontieren? Habe ich die Kraft, die ganze eklige Geschichte öffentlich zu machen? Hab ich die Stärke, als Berufsanfängerin das Nest zu beschmutzen?
Hatte ich nicht. Habe ich bis heute nicht.
Ich traue mich nicht, mich in den Sturm zu stellen.
Vielleicht wäre es kein Sturm, sondern ein Windhauch, der mich stützt und trägt. Aber weiß ich es? Die widerlichen Worte sind es, die das Nest beschmutzen. Das weiß ich. Und doch bin ich es, die von ihnen erzählt.
Und ich fühl mich nicht gut.
Es wird Zeit, dass wir alle einander erzählen.
Von den widerlichen Worten und den ekligen Erfahrungen.
Von den Menschen, die uns bedrängen.
Und vielleicht fühlen wir uns gemeinsam dann irgendwann so gut, dass wir sagen: Guck her, das Nest ist schmutzig!