Die Morgenandacht Gras drüber wachsen lassen

Wibke Winkler
Wibke Winkler

Die Morgenandacht Gras drüber wachsen lassen

Ein Geburtstagsbesuch lässt Pastorin Wibke Winkler entdecken, wie kostbar der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit ist und welche Kraft in echter tiefer Freundschaft steckt.

Bild: Bremische Evangelische Kirche

Informationen zum Audio

Es gehört zu meinem Beruf, dass ich hin und wieder Menschen zu Hause besuche. Zum Geburtstag zum Beispiel. So habe ich Erich kennengelernt. Erich ist 95 Jahre alt geworden und hat mich zum Tee eingeladen. Er hat mir einiges erzählt aus seinem Leben. Von seiner Kindheit und Jugend, seiner Ehe, seinen Kindern… Erstaunt war ich, als er sagte, der wichtigste Mensch in seinem Leben sei eigentlich sein Freund Walter. Sie sind in derselben Straße aufgewachsen und sie waren immer füreinander da. Erich sagte, die schlimmste Zeit in seinem Leben war die Zeit, als er und Walter zerstritten waren. Es hatte gekriselt in Walters Ehe und Erich hat aus Walters Sicht zu viel Verständnis für Walters Frau gehabt. Walter fühlte sich im Stich gelassen und verraten und darüber hätten sie sich beinahe entzweit.

Nur mit viel Überwindung, erzählt Erich, haben sie sich zusammengesetzt und auch wieder zusammengerauft. "War das ein Einschnitt in Ihrer Freundschaft?", frage ich ihn und er lächelt. "Ach, wissen Sie? Wir haben Gras über die Sache wachsen lassen." und dann entschuldigt er sich: Er muss noch etwas vorbereiten für das Abendessen, denn nachher kommt Walter noch zu Besuch. Natürlich: Walter! Ich schmunzle und mache mich auf den Weg. Seine Worte nehme ich mit: Gras über die Sache wachsen lassen. Eigentlich mag ich diese Redensart nicht. Sie klingt für mich nach "nie wieder drüber reden", nach "ein Problem zum Tabu erklären und begraben". Aber unter der Oberfläche, unter der Grasnarbe brodelt es heimlich weiter. Nur, bei Erich und Walter, da wirkt es so nicht auf mich. Denn Erich hat mit so viel Umsicht und Wärme von Walter geredet.

Ich denke an eine kaputte Stelle in unserem Rasen, die wir mal erneuert haben. Wir haben die Erde gelockert, Steine rausgesiebt. Etwas frischen Mutterboden darauf gegeben. Geebnet. Ausgesät. Die Saat angedrückt. Gewässert. Und dann erst haben wir es wachsen lassen. Es wuchs wie verrückt! Bis heute sieht die Stelle saftiger aus als der Rest des Rasens. Das muss irgendeine Supersaat gewesen sein, witzeln wir immer. Vielleicht lag es aber auch daran, dass es nach der Aussaat tagelang oft und gleichmäßig viel geregnet hat. Oder eben am frischen Mutterboden. Über die kaputte Stelle in unserem Rasen ist jedenfalls nicht einfach so das Gras gewachsen.

Vielleicht ist das auch das Geheimnis von Erichs und Walters Freundschaft. Wenn Gras über eine Sache wachsen soll, braucht es guten Boden und ausreichend Feuchtigkeit. Offenbar haben sie in ihrer Freundschaft einen solchen Nährboden. Einen Boden, auf dem eine Verletzung auch wieder heilen kann. Sie haben sich überwunden, hatte Erich gesagt, sich nach ihrem großen Streit wieder zusammenzuraufen. Bestimmt haben beide Angst gehabt. Es ist nicht einfach, Fehler einzugestehen. Verletzungen zuzugeben. "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit." (2Tim1,7) Das steht in der Bibel, im zweiten Brief an Timotheus. Es könnte wohl auch als Überschrift über Erichs und Walters Versöhnung stehen. Kraft, Liebe und Besonnenheit. Ein guter Boden für eine lange Freundschaft.

Autor/Autorin

  • Wibke Winter

Bremen Zwei Livestream & aktuelle Sendung.

Die Nacht

Die Nacht

Jetzt läuft:

Amy Winehouse A Song For You
  • Jetzt läuft:

    Amy Winehouse A Song For You