Die Morgenandacht Heiliger Zorn

Ragna Miller
Ragna Miller

Die Morgenandacht Heiliger Zorn

Palichnologie ist die Wissenschaft von den Fußspuren. Pastorin Ragna Miller geht in dieser Woche auf Spurensuche. Heute auf die Suche nach Spuren des Heiligen Zorns.

Bild: Bremische Evangelische Kirche

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Spurensuche ist eine gute Sache. Spuren kann man hinterlassen. Spuren kann man entdecken. Wenn ich im richtigen Moment meinen Blick senke, entdecke ich Spuren. Spuren im Sand, an Wänden, in Briefen. Spuren in meinem Kopf, in meinem Herzen. Spuren von großen Denkerinnen und kleinen Wichtigtuern. Ich entdecke Spuren von Menschen, die mir fremd sind. Und manchmal finde ich Spuren von Jesus – dem Mann aus Nazareth. Übrigens nicht nur solche, die mich beeindrucken, auch solche, die mich verwirren. Vor einigen Tagen sah ich einen Mann, der versuchte ein Auto von einem Fußweg zu schieben. Er war außer sich vor Wut. Schrie herum. Drückte mit aller Kraft gegen den Kleinwagen. Wir anderen standen um diese Situation herum, sahen mit großen Augen zu. Sprachen halblaut über das Thema Autos im Stadtbild.

Und ich dachte: Wut lohnt sich – also manchmal. Der Gedanke verwirrte mich. Kann das stimmen? Lohnt sich Wut? Als ich dieser Spur folgte, kam mir der Gedanke an einen anderen Mann, der außer sich vor Wut war. Jesus im Tempel. Es gibt die Erzählung, in der Jesus Händler im Tempel angreift. Sie stehen an den Rändern, wechseln Geld, verkaufen Opfertiere. Ganz normal – völlig alltäglich. Doch die Wut von Jesus zeigt mir, wie merkwürdig das alles ist. Er schwingt einen verknoteten Strick. Ist zornig, fast kopflos. Stößt die Tische der Geldwechsler um. Wirft die Händler mit seinem Furor aus dem Tempel und schreit: "Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!"

Wut lohnt sich. Denke ich. In diesem Fall. Denn die Leute rundherum bekommen mit: Religion und Geld und Politik dürfen nicht verfilzt sein. Sonst korrumpiert das eine das andere. Wut lohnt sich – manchmal. Doch ich bleibe verwirrt. Denn Wut ist doch auch gefährlich. Heiliger Zorn verlockt mit seinen Abgründen und dem Anschein von Redlichkeit. Heiliger Zorn hat alle Demagogen der Geschichte angetrieben…

Hat sich Jesus nach seinem Ausbruch im Tempel geschämt? Hat er mit seinen Freundinnen und Freunden über das Thema Emotionen gesprochen? Weiter hinten in der Bibel heißt es: "Wenn ihr zornig seid, passt auf, dass ihr nicht große Fehler macht. Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen." Ich denke: ungefähr das, hat Jesus zu seinem Ausbruch im Tempel gesagt. Wut lohnt sich, wenn sie angemessen ist. Wenn ich auf Missstände aufmerksam mache. Auf Ungerechtigkeit und Verblendung. Wut lohnt sich, wenn ich zeitnah mit meiner Wut umgehe, sie mir nicht aufspare, um ein Programm aus meiner Empörung zu machen.
Wut lohnt sich. Manchmal.

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  • Ragna Miller

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