Sounds in concert: Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna

Christian Muthspiel hat vor einigen Jahren eine beeindruckende und für viele überraschende Entscheidung getroffen: Seine Posaune hat er ein letztes Mal geputzt und nach fast 40 Jahren Instrumentalistenkarriere in die Ecke gestellt und seitdem nicht mehr angerührt. Er widmet sich nun ganz dem Komponieren und der Leitung seines Großprojekts: dem Orjazztra Vienna, ein 17-köpfiges Jazzorchester, für das er aufwendige Programme schreibt. Mit dem neuesten Programm "La Melodia della strada" war Muthspiel mit dem Orjazztra am 12. Oktober 2023 im Bremer Sendesaal zu Gast.

Wenn Christian Muthspiel mit seinem Ensemble den Konzertsaal betritt, erinnert die Gruppe etwas an eine Klassenfahrt. Der 61-Jährige Muthspiel als Leiter mit vielen Musikerinnen und Musikern, die halb so alt sind wie er. Muthspiel ist überzeugt, dass es die Musik beflügelt, wenn ältere und jüngere miteinander arbeiten und somit hat er für sein Orjazztra gezielt jüngere Jazzer und Jazzerinnen engagiert.

Ich glaube, es haben beide Seiten etwas von diesem Austausch. Ich bin immer ein großer Gegner davon gewesen, das Alter als zu wichtigen Parameter zu nehmen. Was mir immer auf die Nerven gegangen ist: Wenn die Älteren gesagt haben, das wär‘ jetzt nichts mehr.

Christian Muthspiel

Beim Auftritt im Sendesaal hat das Orjazztra dabei seine ganze Virtuosität präsentiert. Das aktuelle Programm ist dem italienischen Regisseur Federico Fellini gewidmet, den Muthspiel selbst als ein 'Tor zur Welt' bezeichnet. In den Anfangstagen seines Studiums sei er zusammen mit seinen Kommilitonen regelrecht in die Kinos gepilgert, wenn ein neuer Film von Fellini rauskam. Dabei ist "La melodia della strada" von vielen echten Filmszenen Fellinis inspiriert, manche hat sich Muthspiel aber auch selbst ausgedacht. Es gibt Liebesszenen, artistische Zirkusnummern, wilde Tänze und Feste und auch Faustkämpfe. Letzteres eine Szene aus dem namengebenden Film La Strada, in dem der Zirkusboxer Zampano und der Seiltänzer Il Matto in einen Kampf geraten. Für Muthspiel repräsentieren diese Szenen bei Fellini das Leben an sich und sind voller Freude:

"Fellinis pralles Leben und diese großen, emotionalen italienischen Szenen bis hin zu wilden Streits und Versöhnungen, komplizierten Liebesgeschichten, kleinen Katastrophen und auch diese verrückten Menschen. Alle diese Dinge feiern das Leben. Und Fellini feiert sogar den Tod. Und diese Stimmungen und Atmosphären haben mich geradezu dazu gezwungen, eine Musik zu komponieren, die das Leben und das Menschsein bejaht."

Beim Auftritt im Sendesaal war diese Idee zu spüren. Das 17-köpfige Orchester mit zwei Drumsets und Bässen, einem Klavier und je sechsköpfiger Holz- und Blechbläsergruppe transportierte diesen emotionalen Ritt auf gekonnte Art. Ob in den leisen Momenten oder den ausufernden und wilden Passagen – Christian Muthspiel und seinem Orjazztra ist es gelungen, die Filmwelten Fellinis in packende Musik zu gießen.

RB-Mitschnitt vom 12. Oktober 2023 im Bremer Sendesaal

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