Frauengeschichte(n) aus unserer Region Frau Bürgermeister Annemarie Mevissen: Bremens erste Regierungschefin

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Annemarie Mevissen 1954 am Telefon (Archivbild)
Annemarie Mevissen engagierte sich schon als Jugendliche politisch. Später wurde sie stellvertretende Regierungschefin in Bremen. Bild: Staatsarchiv Bremen | Karl Edmund Schmidt

Annemarie Mevissen schrieb Geschichte: 1967 wurde sie die stellvertretende Regierungschefin Bremens und damit die erste Frau der Bundesrepublik, die so einen Posten bekam. Zu dem Zeitpunkt hatte Mevissen schon eine beachtliche Karriere hingelegt: Sie war seit 20 Jahren Abgeordnete der Bürgerschaft und Senatorin. Bremen Zwei-Reporterin Lisa-Maria Röhling stellt eine ungewöhnliche Politikerin vor.

Annemarie Mevissen spricht durch ein Megafon zu demonstrierenden Schülern (1968)

Frau Bürgermeister Annemarie Mevissen: eine Karriere in der Politik

November 1967. Annemarie Mevissen wird stellvertretende Regierungschefin in Bremen. 1945 begann ihre Karriere in der Bremer Politik. Das Porträt einer ungewöhnlichen Frau.

Bild: dpa | Lothat Heidtmann

Annemarie Mevissen wird am 24. Oktober 1914 als Annemarie Schmidt geboren und wächst mit der Politik auf: Ihr Vater ist aktiver Sozialdemokrat in Bremen, er ist ein Vorbild für Annemarie. Sie will sich schon als Jugendliche politisch engagieren und tritt der Sozialistischen Arbeiter-Jugend bei. Beruflich hat sie allerdings andere Pläne: Sie will Lehrerin werden. Aber das mit dem Studium wird erst einmal nichts, weil 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kommen und ihr Vater als "politisch unzuverlässig" gilt. Die junge Frau macht stattdessen eine Ausbildung zur Buchhändlerin. Sie arbeitet einige Jahre in Leipzig, dort lernt sie ihren Mann Werner kennen.

Annemarie Mevissen sitzt auf einer Bank, hinter und neben ihr die anderen Senatsmitglieder.
Annemarie Mevissen war 1959 die einzige Frau im Bremer Landesparlament. Bild: Staatsarchiv Bremen

1944 kehrt sie hochschwanger nach Bremen zurück. Nach dem Krieg beginnt ihre politische Karriere in der SPD. Die Historikerin Renate Meyer-Braun erzählt: "Da war nicht interessant, dass sie eine Frau war, sondern dass sie jung war, reden konnte und sozialdemokratisch politisiert war."

Keine Frau sollte glauben, dass sie sich mit Härte durchsetzen kann, sondern sie muss mit Sachkenntnis kommen.

Annemarie Mevissen über Frauen in der Politik

1947 schafft es Annemarie Mevissen mit 33 Jahren als Mutter von inzwischen zwei Kindern ins Landesparlament. Sie setzt sich für eine gerechtere Bildung ein, will Jugendlichen aus allen Schichten bessere Chancen ermöglichen. Sie gilt als Radikale. Dass sie als Frau eine besondere Rolle in der Politik hat, war ihr bewusst, erklärt sie später in einem Interview: "Eine Frau muss Sachkenntnis haben, sie muss überzeugen können, aber sie muss dabei Frau bleiben können. Ich meine nur, keine Frau sollte glauben, dass sie sich mit Härte durchsetzen kann, sondern sie muss mit Sachkenntnis kommen."

Von der Jugendsenatorin zur Bürgermeisterin

Diese Einstellung bringt sie dann 1951 vom Parlament in die Landesregierung. Auch wenn Mevissen sich für Schulpolitik einsetzt, wird sie nicht Bildungs-, sondern Jugendsenatorin. Das erfährt sie telefonisch auf einer Auslandsreise durch die USA. "Es war schon ein merkwürdiger Start in die Regierung der Freien Hansestadt Bremen," sagt sie später dazu.

Annemarie Mevissen stößt ein Jugend-Fußballspiel an (1974)
Annemarie Mevissen bei einem Fußballspiel. Zeitlebens waren Jugend- und Schulpolitik ihre Herzensanliegen. Bild: VG Bild | Andreas Bultmann

Ihre ersten Jahre als Senatorin sind nicht leicht. Sie bekommt keinen Stab, hat nur ein kleines Büro und wenig Einfluss. Das hatte Prinzip, sagt Renate Meyer-Braun, denn Mevissen sollte nicht eigenmächtig Politik machen, sondern Vorschläge, wie man der ziemlich alleingelassenen Jugend helfen könne. Diese Vorschläge sollten dann von anderen Ressorts umgesetzt werden. Mevissen hängt sich rein. Das zahlt sich aus: Sie bekommt die Verantwortung für die Wohlfahrts-, Sportpolitik und schließlich das große, einflussreiche Sozialressort. Im November 1967 wird Annemarie Mevissen dann stellvertretende Regierungschefin in Bremen. Sie ist 53 Jahre alt und gehört seit 16 Jahren dem Bremer Senat an.

Dies ist eine legale Demonstration.

Bürgermeisterin Annemarie Mevissen 1968 zu den demonstrierenden Schülern bei den Protesten gegen die Fahrpreiserhöhung der BSAG

Im Januar 1968 ist Mevissen erst wenige Monate Bürgermeisterin. Jetzt zeigt sie endgültig, was in ihr steckt: Eine Schülergruppe hat die Bahngleise an der Domsheide besetzt, um gegen höhere Fahrpreise der BSAG zu demonstrieren. Täglich kommen mehr Jugendliche dazu. Die Situation droht zu eskalieren, der Polizeichef ordnet an: "Draufhauen, draufhauen, nachsetzen!" Am fünften Tag fährt gegen Abend ein graues Auto vor, darin sitzt Annemarie Mevissen. Sie bahnt sich den Weg zu einer Streusalzkiste, steigt darauf und erklärt durch ein Mikrofon: "Dies ist eine legale Demonstration."

Annemarie Mevissen spricht durch ein Megafon zu demonstrierenden Schülern (1968)
Bei den Bremer Straßenbahnunruhen 1968 fand Annemarie Mevissen den richtigen Ton. Bild: dpa | Lothat Heidtmann

Politische Anstöße, die bis heute nachwirken

Die Situation entspannt sich, die Unruhen lösen sich auf. Ihr Mut bringt Mevissen einen ungeliebten Titel ein: der einzige Mann im Bremer Senat. Sie hält von solchen Spitznamen wenig, will sich lieber mit Fachpolitik durchsetzen. Sie fordert mehr Kitaplätze, um Frauen den Weg in den Beruf zu erleichtern. Sie setzt sich für mehr Einrichtungen für Alte und Menschen mit Behinderungen ein, damit sie selbstbestimmt leben können. Damit gibt sie politische Anstöße, die bis heute nachwirken.

Bremens erste Ehrenbürgerin

Annemarie Mevissen und Hans Koschnick
1975 beendet Mevissen ihre politische Karriere. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 2006 wird sie Ehrenbürgerin Bremens. Bild: VG Bild | Walter Schumann

Ab 1968 prägt die Studentenbewegung den Parteinachwuchs. Mevissen kann damit nichts anfangen. Deswegen tritt sie 1975 nicht noch einmal zur Wahl an. Nach 23 Jahren als Senatorin zieht sie sich zurück. Zu diesem Zeitpunkt ist sie die dienstälteste Landesministerin der Bundesrepublik. Nach ihrer politischen Karriere widmet sich Mevissen der Malerei und schreibt Bücher. Am 13. Juli 2006 stirbt die große Dame der Bremer Nachkriegspolitik mit 91 Jahren. Eine letzte Ehrung bekommt sie erste kurz vor ihrem Tod: Sie wird Ehrenbürgerin Bremens – als erste Frau überhaupt.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 10. Juli 2021, 13:40 Uhr

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