Frauengeschichte(n) aus unserer Region Diese Künstlerin schuf die prunkvolle Fassade der Bremer Stadtwaage

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Ingeborg-Ahner-Siese augeschnitten vor einem Bild der Bremer Stadtwaage
Ingeborg Ahner-Siese studierte Bildhauerei in Bremen an der Kunstschule. Bild: Susanne-Ahner/dpa/Ingo Wagner

Der Bremer Marktplatz wird nicht ohne Grund die "gute Stube" genannt: Dort stehen ganz viele historische und prunkvolle Gebäude – viele Verzierungen, viel Blattgold. Dass die Gebäude so aussehen, ist einer Frau zu verdanken: Ingeborg Ahner-Siese, die in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre.

Bremen, 1949: Ingeborg Ahner-Siese, 26 Jahre alt, arbeitet zusammen mit ihrer Kollegin Maria Ewel in einer zugigen Bretterbude. Die beiden Frauen meißeln feine Ornamente und Blumenranken in Sandstein. Sie arbeiten für die "Bauhütte der Baudenkmalpflege", die der Baurat der Stadt Bremen gerade gegründet hat. Die Idee: Zerstörte historische Bauten fachgerecht nachzuarbeiten – und zwar von zehn Kunst-Studierenden.

Ingeborg ist eine davon – und erinnert sich später, wie sie erst mal üben musste, Flächen aufzuhauen, dann Profile und dann Figuren. "Ein alter Schmied hatte uns aus verbogenen Eisenbahnschienen dieses Werkzeug geschmiedet", erzählt sie Jahre später. "Es gab ja noch nicht mal Werkzeug zu kaufen."

Eintauchen in andere Epochen

Nach der entbehrungsreichen Nachkriegszeit kann sie hier für eine Mark die Stunde arbeiten. Die gebürtige Verdenerin war gerade mit der Schule fertig, als der Zweite Weltkrieg begann. Sie muss einen Lazarettdienst ableisten. Erst nach 1945 kann sie sich ihren Kindheitstraum erfüllen und Künstlerin werden. Sie studiert zunächst Malerei in Göttingen, dann kommt sie für das Studium der Bildhauerei nach Bremen an die Kunstschule – und in die Bremer Bauhütte.

Ingeborg Ahner Siesen portraitiert in den 1940er Jahren im hellen Kostüm mit offenem Haar und dunklem Hut
Bild: privat

"Man muss wie ein Schauspieler in eine Rolle schlüpfen – in die Rolle des damaligen Bildhauers, warum er so oder so gearbeitet hat", beschreibt sie ihre Arbeit. "Ich habe mir auch die Musik der damaligen Zeit angehört und die Mode der Zeit studiert, also nicht einfach etwas nachgemacht, sondern ich hab das nachempfunden."

So bekommt sie auch ein Gefühl für das Rokoko – die Epoche, aus der die Fassade der historischen Sparkasse am Bremer Marktplatz stammt. Die kann man heute noch genauso bewundern, wie die Künstlerin sie 1949 geschaffen hat. Ein kleines Stück weiter in der Langenstraße steht noch heute das Gebäude der historischen Stadtwaage. Nach dem Krieg war dort nur ein ausgehöhltes Erdgeschoss vorhanden. Jetzt ist es wieder ein vollständiger, prunkvoller Bau im Stil der Weserrenaissance. Alle Muscheln, Schmuckelemente, Obeliske, die Löwenwappen – alles stammt aus der Hand von Ahner-Siese.

20 Jahre arbeitet sie als Restaurateurin in Bremen und Norddeutschland – zusammen mit ihrem Mann, dem Bildhauer Ludwig Ahner, den sie bei der Bremer "Bauhütte" kennen gelernt hat. Die beiden haben ein kleines Haus in Lilienthal-Worphausen. Ingeborg bringt zwei Kinder zur Welt. Um den Lebensunterhalt der Familie mit zu bestreiten, gibt sie in ihrem Atelier Kunst-Kurse.

Vom Schicksalsschlag zum Neuanfang

Ein Blick auf das Kunstwerk "Der Chor" von Ingeborg Ahner-Siese
Hier das Werk "Der Chor". Bild: privat

1979 stirbt ihr Mann und die Künstlerin stürzt finanziell und psychisch in eine Krise. Dann kommt der Neuanfang: Sie beginnt, Plastiken aus Ton zu modellieren, dann auch lebensgroße Skulpturen aus Stein. Dabei lässt sie sich besonders von sozialkritischen Themen inspirieren. "Im Mittelpunkt meines künstlerischen Schaffens steht der Mensch", sagt sie später. "Mein gedanklicher Hintergrund ist immer eine leise Werbung für mehr Menschlichkeit im Umgang miteinander, mehr Verständnis füreinander."

Ingeborg Ahner Siese in Lilienthal umgeben von ihrem Werk
In Lilienthal kann man lebensgroße Skulpturen von Ingeborg Ahner-Siese sehen. Bild: Bild: privat

Immer öfter setzt sie sich mit Muttersein, Muttermythos oder Gentechnik auseinander – also typischen Frauenthemen. Je älter die Künstlerin wird, desto mehr beschäftigt sie sich in ihrem Werk auch mit dem Thema "Alter". Über das sie später sagt: "Ich finde das Altsein ganz schön. Alles, was man so erlebt hat, und wenn man darüber nachdenkt, dann ist das jetzt schön und ruhig."

2017 stirbt Ingeborg Ahner-Siese mit 94 Jahren in Lilienthal-Worphausen. Ihre Werke kann man immer noch an vielen Orten in Bremen und Umgebung entdecken.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 30. Dezember 13:40 Uhr

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