Frauengeschichte(n) aus unserer Region Warum Anna Stiegler für ihre politische Überzeugung inhaftiert wurde

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  • Emilia Knebel
Ein altes Bild der Bremerin Anna Stiegler mit Wilhelm Kaisen
Anna Stiegler mit dem SPD-Mitglied und Bürgermeister Wilhelm Kaisen, 1951 Bild: Bremer Staatsarchiv

Anna Stiegler war eine der ersten Frauen der Bremer SPD. Sie hat den Krieg überlebt und musste sich im Nationalsozialismus, nach dem Verbot der SPD, dem Regime fügen. Weil sie Flugblätter verteilt hat, wurde sie inhaftiert. Zeit ihres Lebens hat sie sich für die Rechte der Frauen eingesetzt.

Ein altes schwarz-weiß Bild der Bremerin Anna Stiegler aus dem Jahr 1961
Anna Stiegler im Jahr 1961

Anna Stiegler: Engagement und Widerstand im Kampf für Frauenrechte

Die Frauenrechtlerin Anna Stiegler trat 1908 als eine der ersten Frauen in die SPD in Bremen ein. Bis zu ihrem Lebensende engagierte sie sich politisch.

Bild: Bremer Staatsarchiv

Es ist das Jahr 1904, Anna Stiegler ist Kinderfräulein, erst seit einem Jahr lebt sie in Bremen-Blumenthal. Ihr Mann Konrad Vogt engagiert sich schon lange in der Arbeiterbewegung, und auch ihr politisches Interesse wird geweckt. Doch vor allem ein einschneidendes Erlebnis im September 1904 soll Anna Stieglers Leben von nun an verändern: Sie begleitet ihren Mann zum Parteitag der SPD in ein Bremer Casino. Dort erlebt sie die Arbeiterbewegung hautnah – und will sich nun auch selbst engagieren. Das war ihr politisches Aha-Erlebnis, erzählt die Historikerin Renate Meyer-Braun. "Das hat sie politisiert. Und Frauen konnten ja damals vor 1908 noch nicht politisch aktiv werden. Aber sie hat schon eine inoffizielle Frauengruppe in Blumenthal gegründet, eine SPD Frauengruppe."

Dabei war für Anna Stiegler eigentlich ein ganz anderes Leben vorgesehen. Ab 1881 wächst sie in Mecklenburg auf und lebt dort als Tochter eines Landarbeiters auf einem Gutshof. Sie träumt von einer Ausbildung als Lehrerin. Doch die Familie hat dafür kein Geld – schon früh merkt sie, was soziale Ungleichheit bedeutet. „Sie hat auch erlebt, wie die Standes- und die Klassenunterschiede waren und wie Gutsarbeiter und Gutsarbeiterinnen behandelt wurden. Und das hat sie schon früh auf den Plan gebracht, dass sie also die soziale Ungerechtigkeit bekämpfen wollte,“ sagt Renate Meyer-Braun.

Das hat sie politisiert. Und Frauen konnten ja damals vor 1908 noch nicht politisch aktiv werden. Aber sie hat schon eine inoffizielle Frauengruppe in Blumenthal gegründet, eine SPD Frauengruppe.

Renate Meyer-Braun, Historikerin

Ungerechtigkeit erfährt Anna Stiegler in ihren Augen auch, als sie 1904 nach dem Parteitag in Bremen der SPD beitreten möchte. Denn das darf sie nicht — das Reichsvereinsgesetz verbietet es Frauen, Parteien oder politischen Vereinen beizutreten. Erst als das Gesetz 1908 abgeschafft wird, darf sich Anna Stiegler auch offiziell in der Partei engagieren. Kurz darauf wird sie zur zweiten Vorsitzenden ihres Bezirks in Bremen-Nord gewählt. 1919 zieht sie als eine der ersten 18 Frauen zuerst in die verfassungsgebende Bremische Nationalversammlung und später auch in die Bremische Bürgerschaft ein.

„Sie hat sich sehr für Frauen eingesetzt, zum Beispiel gegen den Paragraphen 218. Und dann hat sie sich eingesetzt dafür, dass eine Ehe- und Sexualberatungsstelle in Bremen eingeführt wurde, wo Frauen auch über Verhütung aufgeklärt wurden. Also insofern war sie schon durchaus ihrer Zeit in gewisser Weise voraus“, weiß die Historikerin Meyer-Braun. Mit ihrem bemerkenswerten Einsatz für Frauen war Anna Stiegler eine Pionierin in der Politik – denn für Kellnerinnen oder den Schutz von Frauen in Betrieben setzte sich neben ihr damals noch kaum jemand ein. Die Sozialdemokratin sah ihre Lebensaufgabe darin, denen zu helfen, die Hilfe benötigen. Das zeigt sich auch in dem Widerstand, den sie ab 1933 leistete.

Ein altes schwarz-weiß Bild der Bremerin Anna Stiegler aus dem Jahr 1961
Anna Stiegler im Jahr 1961 Bild: Bremer Staatsarchiv

„Sie war eine bemerkenswerte und mutige Frau", erzählt Meyer-Braun. "Nach 1933, nach der sogenannten Machtergreifung, haben sie und noch andere Frauen sich in illegalen Gruppen zusammengetan. Der Parteivorstand war ja verboten, Sozialdemokraten wurden hier auch schon verfolgt. Da hat sie sich also sehr stark gemacht für das Sammeln und Verteilen von Flugblättern, illegalen Flugblättern.“ Mutig und entschlossen setzte sich Anna Stiegler gegen das Nazi-Regime ein – bis ihre Gruppe 1935 verraten wird. Es folgen fünf Jahre im Frauenzuchthaus Lübeck - und weitere fünf Jahre im Frauen-KZ Ravensbrück. Doch auch hier verliert Anna Stiegler nicht ihren Mut und kümmert sich um schwächere Frauen. Dafür bekam sie später den Beinamen “Engel von Ravensbrück”.

Wir wussten, dass wir für eine Idee litten, die den freien Menschen zum Ziele hat, in einer freien Welt! Dieses Bewusstsein erfüllte uns in der Gefangenschaft vielleicht noch stärker als sonst. Niemand und nichts konnte uns die Überzeugung nehmen, dass unsere gute Sache doch siegen müsse. Sie gab uns die Kraft, nicht nur selbst auszuharren, sondern auch denen zu helfen, die verzagen wollten.

Anna Stiegler

Erst kurz vor Kriegsende wird Anna mit vielen anderen auf den sogenannten Todesmarsch geschickt, den sie überlebt; eine Bauersfamilie nimmt sie auf und versorgt sie. Bei ihrer Rückkehr nach Bremen erfährt sie, dass ihr Mann in einem anderen KZ gestorben ist. Doch selbst dieser Schicksalsschlag raubt Anna Stiegler nicht ihren Mut. Schon kurz nach ihrer Rückkehr ist sie wieder politisch aktiv, zieht erneut für die SPD in die Bürgerschaft ein und gründet den überparteilichen Bremer Frauenausschuss. Sie wird zum Vorbild, vor allem für jüngere Frauenrechtlerinnen. „Allein wie sie den Widerstand geleistet hat und wie sie sich verhalten hat im Zuchthaus und im KZ, das ist schon ein Vorbild. Und wie sie auch schon so ganz früh vor dem ersten Weltkrieg und dann als eine der ersten Frauen im Parlament agiert hat und auch die Klappe aufgemacht hat“, sagt Renate Meyer-Braun.

Anna Stiegler bleibt bis kurz vor ihrem Tod 1963 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. Und auch heute noch erinnert man sich an sie als eine der einflussreichsten Frauen in der Bremischen Sozialpolitik.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 03.06.2023, 13:40 Uhr

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Der Sonntagmorgen mit Jörn Albrecht

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