Im Porträt Ostfriese Pierrot Raschdorff wünscht sich mehr Schwarze "Role Models"
Standdatum: 21. September 2022.

Pierrot Raschdorf ist waschechter Ostfriese. Geboren 1981 in Ruanda, wuchs er im 800-Einwohner-Dorf Timmel auf. Als fast einziger Schwarzer in der ländlichen Region war er eine Besonderheit, aber er wuchs sicher und geborgen auf, sagt Pierrot Raschdorff. Was ihm fehlte waren Schwarze Role-Models. Mit seinem Buch "Schwarz. Rot. Wir" legt er nun ein Plädoyer für gelebte Vielfalt vor.
Gesprächszeit "Das Grundrauschen ist das Leben in der weißen Gesellschaft" – Pierrot Raschdorff
Das "Moin" zur Begrüßung kommt ihm noch immer ganz selbstverständlich über die Lippen – dabei lebt Diversity-Experte Pierrot Raschdorff mittlerweile in München. Doch: Einmal Ostfriese immer Ostfriese! So vermisst er im Süden der Republik neben der Sprache – "dieses breite Norddeutsche" – vor allem auch die Teezeremonie: "In Bayern nachmittags Tee trinken, das tut man nicht", berichtet Raschdorff lachend.
"Allein unter Weißen" in Ostfriesland
Geboren wurde er 1981 in Ruanda. Doch sein Denken, wie er selber sagt, beginnt in Timmel im Landkreis Aurich zwischen Großefehn und Moormerland. Rund 800 Einwohnerinnen zählt das Dorf Mitte der Achtziger, als Raschdorff hier bei Adoptiveltern aufwächst. "Alleine unter Weißen", wie er in seinem Buch "Schwarz. Rot. Wir. - Wie Vielfalt uns reicher macht" schildert.
Da hat man das kurz gesehen, dass ich Schwarz bin und dann ist auch gut.
Pierrot Raschdorff über seine Kindheit in Ostfriesland
Entgegen mancher Erwartung beschreibt er diesen Lebensabschnitt des Heranwachsens auf dem Land allerdings als "eine sehr schöne Zeit". Auch wenn er sich mittlerweile selber fragt: "Was hat mir die Region gegeben, dass ich dort so schön aufgewachsen bin? Was ist das? Warum habe ich rückblickend eine sehr schöne Kindheit gehabt mit relativ wenig Diskriminierungserfahrung?". Eine klare Antwort darauf kann auch er nicht geben: "Vor allem mit dem Blick in andere ländliche Regionen in Deutschland, die sozio-ökonomisch nicht so gut da stehen, von denen man anders redet, die andere Fälle haben, bei denen beispielsweise die AfD viel erfolgreicher ist. Warum ist das in Ostfriesland nicht so?". Pierrot Raschdorff berichtet von seiner Kindheit in Ostfriesland mit einem wohligen Gefühl: "Wir sind alle zusammen groß geworden. Man kannte sich natürlich und wie der Ostfriese da so ist… Joah, da hat man das kurz gesehen, dass ich Schwarz bin und dann ist auch gut."
Kleine Stiche zeigen, dass man nicht dazugehört
Dennoch musste auch er Diskriminierungserfahrungen machen. Sei es als er nach einem Klingelstreich mit dem "N-Wort" beschimpft wurde oder auch weniger offensichtlich – bei Spielen wie "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?": "Da kam schon ein Gefühl von Unwohlsein." Dieses Gefühl beschreibt er in seinem Buch als "das Grundrauschen" und meint damit "das Leben in der Weißen Gesellschaft und dass man oftmals darauf hingewiesen wird, dass man Schwarz ist. Das kann man nicht immer an großen negativen Ereignissen beschreiben, sondern eher in den sogenannten Mikro-Agressionen und an dem ganz subjektiven, eigenen Gefühl, der einzige Schwarze im Raum, im Zug, auf dem Marktplatz zu sein. Kleine Stiche, die aufzeigen, dass man nicht ganz dazugehört."
Warum wir "Role Models" brauchen
Dieses "Grundrauschen" zumindest leise zu drehen, ist Pierrot Raschdorffs Anliegen. Dafür braucht es seiner Meinung nach ein Umdenken in vielen Bereichen – auch in den Medien. Hier fordert er "Role Models", die mit Stereotypen brechen und lobt ausdrücklich den Bremer Tatort mit Dar Salim in der Hauptrolle: "Weil es mir um Rollen geht, die nicht klassisch besetzt werden. Dass wir zum Beispiel den Kommissar auch als "Person of Colour" haben. Oder auch beim Göttinger Tatort mit Florence Kasumba eine selbstbewusste Frau. Gar nicht nur, dass sie eine Schwarze Frau ist."
Vorbild Martin Luther King
In seiner Kindheit und Jugend hat er diese "Role Models" nicht gehabt. Seine Vorbilder kamen aus der Popmusik: "Das erste Poster, das ich in meinem Zimmer hatte, war von Terence Trent D’Arby und danach Michael Jackson. Dann aber relativ schnell auch Martin Luther King." Der Schwarze Bürgerrechtler aus den USA hielt vor fast 60 Jahren seine berühmte "I have a dream"-Rede.

Pierrot Raschdorff hat keinen direkten Traum, aber ein klares Ziel: dass für seine kleine Tochter, für die er sein Buch hauptsächlich geschrieben hat, "das Rauschen weniger vorhanden ist und dass wir einen weniger aufgeregten Dialog zu schwierigen Themen haben." Hoffnung macht ihm aktuell die junge Generation, die sich noch verstärkter diesem Thema nähert: "Das weckt zumindest in mir eine gewisse Hoffnung, dass das zukünftig anders aussieht und dass da Menschen sind, die doch ein wenig mehr reflektieren, wie sie miteinander umgehen beziehungsweise wie sie Diskrimierung gegenübertreten."
Mehr Dialog wagen!
Pierrot Raschdorffs Aufruf an uns alle
Um diesen Dialog zu stärken, hat Pierrot Raschdorff aus Timmel in Ostfriesland sein Buch geschrieben "Schwarz. Rot. Wir. - Wie Vielfalt unser Leben reicher macht." Eine Handreichung zum Dialog, wie er selber sagt. Und augenzwinkernd fügt er hinzu, was wir alle tun müssen: "Mehr Dialog wagen!".
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 21. September 2022, 18:05 Uhr