Die regionale Reportage Die Furcht der Küstenbewohner vor den Osmanen

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  • Catharina Spethmann
schwarze Kirchenkanzel mit einer roten Friedenstaube
Von außen wirkt die Kirche von Padingbüttel unscheinbar; von innen zeigt sie ihre Pracht: eine Galeriekanzel, verziert mit Reliefs. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Seit dem 15. Jahrhundert zitterte Europa immer wieder vor den Truppen des Osmanischen Reichs, die 1683 bis vor die Tore Wiens vordrangen und die Stadt belagerten. Auch im Norden war diese Furcht weit verbreitet. Sie zeigt sich heute noch in vielen historischen Kunstwerken, Inschriften und Symbolen in den Kirchen des Weser-Elbe-Raums.

weiß-goldenes Relief in schwarzem Rahmen

Kunstwerke in den Marschenkirchen belegen die Angst vor den Osmanen

Im 15. und 16. Jahrhundert zitterte Europa vor den Truppen des Osmanischen Reichs. Auch im Norden war die "Türkenfurcht" weit verbreitet. Das zeigen Kunstwerke in den Marschenkirchen.

Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Prächtig. Das ist das erste Wort, was einem einfällt, wenn man die Kanzel in der Kirche von Padingbüttel im Landkreis Cuxhaven sieht. Erwartet hätte man das nicht unbedingt; von außen wirkt die Kirche aus großen, grauen Steinen und leicht verwitterten Ziegeln eher solide und sturmfest. Darin befindet sich eine so genannte Galeriekanzel. "Galerie deshalb, weil nicht nur ein Kanzelkorb aufgestellt wurde, sondern eine Treppen- und Brüstungsgalerie mit Portalaufgang zur Kanzel," erklärt Dietrich Diederichs-Gottschalk, der für ein Buch über die Kirchen der Wurster und Osterstader Marsch deren Kunstwerke erforscht hat. Geschmückt sind Kanzel und Aufgang mit Reliefs aus der biblischen Geschichte.

Atemberaubende Bilder

Gestiftet wurde die Kanzel 1652 vom damaligen Kirchspielsvogt, der lange als "Kapitain", eine Art Offizier, im Dreißigjährigen Krieg gedient hatte. Die kunstvollen Holz-Schnitzarbeiten sind in hellgrau gehalten, mit schwarzen Rahmen, einige Partien sind goldfarben hervorgehoben. Dietrich Diederichs-Gottschalk zeigt auf ein Relief, das die Heiligen Drei Könige darstellt. "Hier sind aber nicht die Heiligen Drei Könige traditionell dargestellt, sondern diese drei Weisen aus dem Morgenland sind Türken oder Osmanen."

weiß-goldenes Relief in schwarzem Rahmen
Die drei Weisen aus dem Morgenland: Hier sind sie als Osmanen dargestellt. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Erkennbar an ihren Turbanen, den Vollbärten und den großen, gezwirbelten Schnurrbärten. Einer der Männer kniet und hat seinen Krummsäbel zu Füßen des Jesuskinds niedergelegt. Der Wunsch, dass Frieden mit einem gefürchteten Feind und zwischen den Religionen möglich sei, spreche aus dem Relief: "Das ist für meine Begriffe das atemberaubende Bildprogramm in dieser Kanzel."

Das war die Gefahr, die alle Seeleute in Bann hielt: 'Hoffentlich kommen keine Türken'.

Dieter Diedrichs-Gottschalk über die Angst der Küstenbewohner
Kirche aus Feldsteinen
Die Kirche von Padingbüttel. Alte Kirchenbücher belegen die Gefahr, von den Osmanen in die Sklaverei verschleppt zu werden. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Nicht überall kamen die Krieger aus dem Morgenland in der kirchlichen Kunst so gut weg wie in Padingbüttel. In den meisten Werken schlug sich eher die Angst nieder, die "Türkenfurcht". Beispiele dafür finden sich in Kirchen in Dorum und Misselwarden, aber auch weiter südlich in Uthlede und Sandstedt. "Das war viel präsent. Vor allem hier an den Küsten, wo man Seefahrt betrieb. Überall, wo Männer zur See fuhren, war das deren erschreckender Alltag. Das war die Gefahr, die alle Seeleute in Bann hielt: 'Hoffentlich kommen keine Türken.'"

Denn es drohten die Verschleppung durch osmanische Seeräuber in die Sklaverei und viele weitere Gräuel, sagt Diederichs-Gottschalk. Aus Eintragungen im Kirchenbuch von Padingbüttel aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg gehe hervor, dass Geld gesammelt wurde, um Gefangene aus türkischer Sklaverei freizukaufen.

Frieden ist möglich. Dialog der Religionen ist nötig, um zu einer friedlichen Gegenwart und Zukunft zu gelangen.

Dieter Diedrichs-Gottschalk über die Botschaft der Kanzelreliefs

Auch Frauen und Kinder wurden nicht verschont. Davon berichtete die Literatur der Zeit, Erbauungs- und Gebetsbücher gaben Anweisungen, wie man sich bei einer türkischen Invasion als Christ verhalten solle. In einer Predigt berichtet ein Wittenberger Theologie-Professors Ende des 16. Jahrhunderts über einen Ungarn-Feldzug der Türken, als "der greuliche Erb- und Erzfeind des christlichen Namens, der Türk, den nächstabgelaufenen Sommer einen schrecklichen Einfall in das Königreich Ungarn getan und unser geliebtes Vaterland deutscher Nation überziehen, in den äußersten Jammer und Not bringen und die ganze Christenheit verwüsten und zu Grund vertilgen wolle."

Der Frieden zwischen den Religionen wie im Kanzelrelief von Padingbüttel blieb Wunschdenken. Das zeigte spätestens die zweite türkische Belagerung von Wien 30 Jahre nach dem Bau der Kanzel. Ihre Epoche ist längst vorbei – aber ihre Botschaft bleibt, findet Diedrichs-Gottschalk: "Frieden ist möglich. Dialog der Religionen ist nötig, um zu einer friedlichen Gegenwart und Zukunft zu gelangen."

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 18. Januar 2021, 10:40 Uhr.

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