Im Porträt "Auf meinem Grab wird stehen: Sie hat bei allem mitgeredet!"

Autorin

Adriana Altaras
Adriana Altaras war auf Einladung von Bremen Zwei zu Gast im Theater Laboratorium Oldenburg. Bild: Radio Bremen | Anja Robert

Adriana Altaras ist Kind jüdischer Partisanen, die gegen die Nazis kämpften und in den Sechziger Jahren in Jugoslawien bedroht wurden. Als Vierjährige musste Altaras deswegen ihre Heimat verlassen und wuchs einige Jahre bei ihrer Tante in Italien auf. In ihrem neuen Buch "Besser allein als in schlechter Gesellschaft" erzählt sie von der eigensinnigen Tante Jele, die 101 Jahre alt wurde.

Adriana Altaras
Adriana Altaras

Gesprächszeit "Auf meinem Grab wird stehen: Sie hat bei allem mitgeredet!" – Adriana Altaras

Adriana Altaras ist Opernregisseurin und Autorin. In ihrem neuen Buch "Besser allein als in schlechter Gesellschaft" erzählt sie von ihrer eigensinnigen Tante.

Bild: Agentur Nicolai | Martin Walz

Adriana Altaras ist ein ausgewiesenes Multitalent. Sie ist Schauspielerin mit Studium in Berlin und New York und einer langen Liste an Rollen am Theater, im Kino und im Fernsehen. Zu ihren Auszeichnungen zählen der Bundesfilmpreis in Gold und ein Silberner Bär auf der Berlinale. Als Regisseurin inszeniert sie mittlerweile hauptsächlich Musiktheater und Oper. Und in ihren Büchern, darunter "Titos Brille" oder "Doitscha" beschäftigt sie sich – auf bewegende und oft auch höchst amüsante Weise – mit ihrer eigenen Familien- und Herkunftsgeschichte.

Sie hat sich benommen wie die Queen.

Adriana Altaras über ihre Tante, die fast 102 geworden ist.

Ihr neues Buch ist eine Art Zwiegespräch und eine Hommage an ihre hochbetagte, mittlerweile verstorbene Tante Jele, die im ehemaligen Jugoslawien Lager und Verfolgung überstand, nach Italien emigrierte, zwischen Mantua und dem Gardasee pendelte und alle Unzulänglichkeiten des Lebens mit Grandezza in Kaschmir-Twinsets und Leinenkleidern überspielte. Das war ihre Art, den Faschisten, die die Glasmanufaktur ihrer Eltern enteignet hatten und Jele mit Mutter und Schwester ins Lager gesteckt hatten, zu zeigen: Ich bin noch da. "Sie hat sich benommen wie die Queen, aber in einem kleinen Dorf am Gardasee. Sie lief sehr fein angezogen herum, mit diesem kleinen Hund, und das mit 99", erinnert sich Adriana Altaras an ihre "Teta Jele", die fast 102 geworden ist.

Als 4-Jährige im Kofferraum nach Italien geschmuggelt 

Bei dieser Tante verbrachte Adriana Altaras, selbst Jahrgang 1960, einen Teil ihrer Kindheit. Ihre Eltern, obwohl Partisanen des jugoslawischen Widerstands gegen die Faschisten, waren als Juden in der kommunistischen Partei Jugoslawiens nicht mehr erwünscht. Tante Jele, die damals schon in Mantua lebte, schmuggelte die Vierjährige Adriana im Kofferraum aus Kroatien nach Italien. An die Ankunft kann sie sich noch erinnern. "Es war sehr heiß und das erste Wort das ich lernte, war - statt "voda" – kroatisch für Wasser – "acqua". Und "ho sete" – ich habe Durst."

Ich wollte reden und ich konnte nicht. Und das ist für mich ja ein großes Thema.

Adriana Altaras über ihre Ankunft in Italien in den Sechziger Jahren

Die Eltern vermisste die kleine Adriana nicht sonderlich, sie hatte ja die Tante, und sie bekam zur Gesellschaft einen Hund. Nur die Sprache fehlte am Anfang. "Ich wollte reden und ich konnte nicht. Und das ist für mich ja ein großes Thema." Als sie sieben war, holten die Eltern, die mittlerweile in Giessen lebten, ihre Tochter nach Deutschland. Der Vater war Professor für Radiologie an der Uniklinik, die Mutter Architektin im Bauamt. In Marburg ging Adriana auf ein Waldorf-Internat. Und hatte Sehnsucht nach Italien. "Da habe ich mir immer vorgestellt, ich spare, dann komm ich mit dem Zug bis zum Brenner, und von da aus laufe ich dann."

Am schönsten ist es in Berlin 

Noch heute ist Italien ein Stück Heimat, die italienische Sprache vertraut. Espresso ist Lebenselixier: "Die tollste Droge, die es gibt. Mit Zucker." Drei Heimaten hat sie, sagt Adriana Altaras, am schönsten aber sei es in Berlin. Nicht nur weil die Leute so "gaga" seien und das Leben deshalb so unterhaltsam. Sondern auch, weil so gut wie jeder und jede irgendwie eingewandert sei: "Es ist nicht so wie in Bayern, wo man seit fünfzehn Generationen Bayer sein muss, um vor zwölf Uhr eine Wurst kaufen zu dürfen."

Das geht nicht, dass Menschen mit Migrationshintergrund immer Underdogs spielen.

Adriana Altaras über die Rollen, die ihr jahrelang angeboten wurden.
Adriana Altaras
Adriana Altaras Bild: Agentur Nicolai | Martin Walz

Humorlose Menschen mag sie nicht. Und auch keine Klischees. Im deutschen Fernsehen habe sie jahrelang immer wieder dieselbe bunte Bluse getragen, erzählt Adriana Altaras gerne, wenn sie nämlich Putzfrauen zu spielen hatte: "Bis ich irgendwann gesagt habe, ich putze nicht mehr. Das geht nicht, dass Menschen mit Migrationshintergrund immer Underdogs spielen. Eine Rolle hieß nur: "Das Opfer". Ich hatte keinen Vor- und keinen Nachnamen. Da habe ich gesagt, jetzt ist Schluss." Im Kino war es anders, da trat sie schon früh in Autorenfilmen von Rudolf Thome auf. Für die Rolle der jungen Berlinerin Maria in "Das Mikroskop" bekam Adriana Altaras 1988 den Deutschen Filmpreis in Gold. Für den Episodenfilm "Paradiso -Sieben Tage mit sieben Frauen" wurde das ganze Ensemble auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Viel beschäftigt als Regisseurin von Opern und Musiktheater

Mittlerweile hat Adriana Altaras auch im Fernsehen wieder sehr gut zu tun. Im Kroatienkrimi hat sie bis zum Serientod der Ermittlerin deren Mutter gespielt. In der eben erst abgedrehten vierten Staffel der Serie "Charité" spielt sie eine Chirurgin. Als Regisseurin inszeniert Adriana Altaras mittlerweile hauptsächlich Musiktheater und Oper, allein im vergangenen Jahr hat sie in Kiel, Bonn und Graz gearbeitet. In Scuol im Schweizer Unterengadin hat sie gemeinsam mit Laien ein Stück zum Umgang mit jüdischen Emigranten in der NS-Zeit erarbeitet. In diesem Jahr inszeniert Adriana Altaras an der Hamburger Staatsoper "Händel‘s Factory", mit Gustav Peter Wöhler als Händel und die Oper "Flight" am Opernhaus in Bonn.

Ich glaube, mein Motor läuft irgendwie schneller. Oder alle anderen sind zu langsam.

Adriana Altaras über ihr Arbeitspensum

Der Spitzname, den Mitschülerinnen in Marburg ihr einst gaben, passt bis heute: "Adrenalina". Stillsitzen fällt Adriana Altaras schwer. "Ich glaube, mein Motor läuft irgendwie schneller. Oder alle anderen sind zu langsam. Aber ich arbeite wahnsinnig gerne. Ich liebe es, mich auszudrücken. Ich brauche keine work-life-balance. Für mich ist alles Leben und Arbeit."

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 19, Mai 2023, 18:05 Uhr

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