Im Porträt Diese Pellwormerin hat die Bundesregierung verklagt

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Silke Backsen
Mit Anfang 20 hat es sie der Liebe wegen auf die Insel verschlagen: Silke Backsen. Bild: Radio Bremen | Olaf Rathje

Silke Backsen lebt seit über 25 Jahren auf Pellworm, mitten im Nationalpark Wattenmeer. Die letzten zwei Jahre hat sie ein bisschen "wie im Schleudergang" erlebt. Die Biologin und Landwirtin kämpft gegen die Folgen des Klimawandels, die sie auf ihrer Insel immer stärker spürt.

Silke Backsen
Silke Backsen

Gesprächszeit "Die jetzige Zeit finde ich extrem belastend für uns alle" – Silke Backsen

Silke Backsen lebt seit über 25 Jahren mitten im Nationalpark Wattenmeer. Die Biologin und Landwirtin kämpft für einen wirksameren Klimaschutz.

Bild: Radio Bremen | Olaf Rathje

Der erste Schritt ist bekanntlich der schwerste. Vor allem, wenn den Weg vorher noch nie jemand gegangen ist. Und wenn am Ende des Weges eine Klage gegen die Bundesregierung steht. Silke Backsen ist ihn trotzdem gegangen.

Bei Pellworm und mir war es Liebe auf den ersten Blick.

Silke Backsen über ihre erste Begegnung mit ihrer Insel

Die 53-jährige Biologin und Buchautorin lebt nicht dort, wo die große Politik gemacht wird, sondern abgeschieden auf der nordfriesischen Insel Pellworm. 37 Quadratkilometer groß und fast rund liegt sie mitten im Nationalpark Wattenmeer und ist nur mit der Fähre zu erreichen. Trotzdem hat Silke Backsen von hier die deutsche Klimapolitik nachhaltig verändert. Oder besser gesagt: gerade von hier.

Grüne Wiesen auf Pellworm
Die Insel Pellworm in der Nordsee ist von einem steigenden Meeresspiegel besonders bedroht. Bild: Radio Bremen | Olaf Rathje

"Bei Pellworm und mir war es Liebe auf den ersten Blick", erinnert sich Silke Backsen lächelnd an ihren ersten Besuch auf der Insel – damals noch als Kind mit der Familie im Urlaub. Aufgewachsen ist sie im Ruhrgebiet. Doch Heimweh empfindet sie heute nur noch, wenn es um Fußball und Borussia Dortmund geht. Ihre wahre Heimat ist mittlerweile Pellworm, hier lebt sie seit ihrem 26. Lebensjahr: "Ich glaube, dass man eine Seelenverwandtschaft zu bestimmten Orten oder bestimmten Landschaften hat und bei mir ist das eben einfach das Meer, zu dem ich mich extrem hingezogen fühle", erklärt die vierfache Mutter.

Ihre Klage wird zur Zäsur der Klimapolitik

Doch das Meer ist in Zeiten des Klimawandels auch eine Bedrohung. Vor allem für Pellworm, das teilweise einen Meter unter dem Meeresspiegel liegt und daher von einem acht Meter hohen und 25 Kilometer langen Deich geschützt wird. Sollte der Meeresspiegel weiter steigen, wären die Auswirkungen für Pellworm katastrophal. Das weiß auch Silke Backsen.

Warum soll man immer alles hinnehmen und es durchgehen lassen?

Silke Backsen über ihre Motivation, zusammen mit Greenpeace die Bundesregierung zu verklagen

2018 fragt plötzlich Greenpeace an, ob sie die Bundesregierung verklagen wolle, weil diese sich nicht an die eigenen Klimaschutzziele halte. Als Bio-Landwirtin auf Pellworm hätte sie gute Chancen. "Warum eigentlich nicht? Warum soll man immer alles hinnehmen und es durchgehen lassen? Dabei waren die Bemühungen unterirdisch schlecht", fasst Silke Backsen ihren Entschluss zusammen. Zwar wird ihre Klage noch abgewiesen, doch ebnet sie damit den Weg für das weitere Vorgehen ihrer Tochter Sophie, die mit einer zweiten Klage endgültig die deutsche Klimapolitik verändert. Denn im April 2021 gibt das Bundesverfassungsgericht Sophie Backsen und den anderen jungen Klägerinnen und Klägern Recht – und die Bundesregierung muss das Klimaschutzgesetz nachbessern.

Die letzten zwei, drei Jahre waren ein wenig wie im Schleudergang.

Silke Backsen über eine Klage, die ihr Leben verändert hat

Über diese aufregende Zeit, die nicht nur in Gerichtssälen spielte, sondern auch in TV-Talkshows oder bei großen Kundgebungen vor tausenden Menschen, haben Mutter und Tochter Backsen in den vergangenen Monaten gemeinsam ein Buch geschrieben: "Butter bei die Fische. Wie wir von Pellworm aus die Klimapolitik verändert haben." "Das war ein guter Einschnitt, um mal zu sehen, was wir da wirklich erreicht haben und was ich alles in der Zeit gerockt habe", fasst Silke Backsen die Arbeit an dem Buch zusammen. "Die letzten zwei, drei Jahre waren ein wenig wie im Schleudergang. Aber ich bin froh, dass ich da bin, wo ich bin."

Als Landtagsabgeordnete geht der Kampf weiter

Ein Haus auf Pellworm hinter dem Deich
Silke Backsen kämpft dafür, dass auch in Zukunft noch Menschen auf Pellworm wohnen können. Bild: Radio Bremen | Olaf Rathje

Biologin, Landwirtin, vierfache Mutter, Klima-Aktivistin und nun Politikerin. Seit Juni 2022 sitzt Silke Backsen für Bündnis90/Die Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag und ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende. "Das Leben hört ja nicht auf, nur weil man einmal eine große Sache macht, sondern man wächst ja mit seinen Herausforderungen", geht sie die neue Aufgabe unaufgeregt an. Allerdings dürften ihr die Kompromisse in der Politik schwer fallen: "Ich bin ein extrem ungeduldiger Mensch. Das wird eine Herausforderung."

Man könnte den Kopf in den Deich stecken, aber das bin ich vom Typ her nicht.

Silke Backsen auf die Frage, warum sie die Hoffnung nicht aufgibt

Vor allem, weil der Kampf für mehr Klimaschutz keine Kompromisse mehr verträgt, weiß Silke Backsen: "Es ist nicht mehr 5 vor 12, sondern es tickt bereits". Angesichts der drohenden Szenarien hilft das norddeutsche Gemüt: "Man könnte den Kopf in den Deich stecken, aber das bin ich vom Typ her nicht: Ich bin ein optimistischer Mensch", versucht Silke Backsen Hoffnung zu versprühen und appelliert an ihre Mitmenschen: "Steht auf und werdet mutig und aktiv."

Silke Backsen will aktiv und mutig bleiben und sich nicht durch die Politik verbiegen lassen. Von der Landeshauptstadt Kiel pendelt sie daher so häufig es geht zurück auf ihre kleine Insel Pellworm – und wird auf dem Deich den Blick wie gewohnt aufs Meer richten: "Ich komme dann immer zur Ruhe, auch wenn das Meer sehr aufgewühlt ist. Das Meer spiegelt alles wider, was das Leben ist. Es kommt und geht. Es kommt in Wellen und in Bewegung und so ist das Leben eben auch. Man weiß, wenn man sich treiben lässt und wie ein Treibholz einfach irgendwo angespült wird, ergibt sich was daraus."

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 6. September 2022, 18:05 Uhr

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