Die regionale Reportage Wie ein Schinken in Friesoythe die Pest beendete

Autor/Autorin

  • Gerhard Snitjer
Ein uralter Schinken, sehr dunkel verfärbt, auf einem Holzbrett.
In den 1960er Jahren hat man noch das Jahr 1350 als Entstehungsdatum angenommen. Mittlerweile geht man von 1640-1670 aus. Bild: Stadt Friesoythe

In der kleinen Stadt Friesoythe im Landkreis Cloppenburg ist vor vielen hundert Jahren einmal eine Epidemie sehr einfach und sehr effektiv gebannt worden. Das erzählt man sich dort zumindest.

Ein uralter Schinken, sehr dunkel verfärbt, auf einem Holzbrett.

Der Friesoyther Pestschinken

Eine Legende erzählt, dass ein Schinken die Pest in Friesoythe beendet haben soll. Gerhard Snitjer erzählt die ganze Geschichte.

Bild: Stadt Friesoythe

Wer im Rathaus von Friesoythe vom Foyer aus in Richtung Sitzungssaal geht, kommt an einer Vitrine vorbei, in der ein einziges Exponat ausgestellt wird: Auf einem Holzbrett liegt dort... Ja, was ist das? Es sieht aus wie ein Schinken. Es ist ein Schinken! Etwas dünn und schrumpelig, wahrscheinlich knochentrocken, auf jeden Fall ziemlich lange geräuchert, fast schwarz.

Eine Altersbestimmung schätzt, dass der Schinken aus einem Jahr zwischen 1640 bis 1670 stamme, sagt Alexander Reuter. Er hat über diesen Schinken gerade eine kulturgeschichtliche Master-Arbeit geschrieben, die jetzt auch in ein Buch einfließt. Und darin blättert er die Sage vom sogenannten "Friesoyther Pestschinken" auf.

Die Pest in Gestalt einer blauen Wolke

Die Pest wütete vor Jahrhunderten auch in Friesoythe. Ganze Familien starben daran. Alle Fürbitten waren vergeblich – und die Menschen fragten sich: Was tun? In einer Legendensammlung aus dem 19. Jahrhundert heißt es:

"Ein findiger Kerl meinte, man müsse der Pest vielleicht nur etwas Besonderes bieten, damit sie anbeiße. Er hängte einen Schinken vor das Schloss seiner Eingangstür. Die Pest soll in Gestalt einer blauen Wolke durch das Schlüsselloch in diesen Schinken gezogen sein. Dieser wurde sofort schwarz und unverweslich."

Die Pest soll in Gestalt einer blauen Wolke durch das Schlüsselloch in diesen Schinken gezogen sein.

Aus der Sage vom "Friesoyther Pestschinken"

Donnerwetter. Eine blaue Wolke zieht in einen Schinken ein. Das muss die Pest gewesen sein, denn von der Seuche wurde Friesoythe von nun an verschont. Aber wie war es wirklich?

Eine Pest-Epidemie gab es tatsächlich zur wissenschaftlich ermittelten Entstehungszeit dieses Schinkens, mitten im 17. Jahrhundert. Damals wurde in vielen Häusern noch Schinken und anderes Fleisch in den Rauch der Feuerstelle gehängt. Es könnte also durchaus sein, dass ein Schinken sich in einem Luftzug bewegte – und die Bewohner es als Zeichen deuteten.

Die heilende Wirkung von Speck

Ein Schinken schaukelt im Wind, vielleicht leuchtet ein Sonnenstrahl in den blauen Rauch – und die Pestwelle endet. Spökenkiekerei, Aberglaube also? "Das kann man sich entweder im christlichen Sinn erklären, mit der Bibelgeschichte, wo quasi eine Dämonenaustreibung stattfindet. Man kann aber auch in der heidnischen Volksmedizin oder im heidnischen Volksglauben nachschauen, wo dem Speck eine heilende Wirkung zugesprochen wurde", sagt Alexander Reuter.

Fest steht, dass die Hausbewohner den Schinken später weder verzehrt noch verschenkt oder vernichtet haben. Reuter erklärt: "Dort hing er dauerhaft im sogenannten 'Wiemen', das ist ein Gestell in Ofennähe, wo Fleischwaren drangehängt wurden, um sie zu räuchern. Und dort hing er laut Zeitzeugenberichten noch zwischen den frischen Fleischwaren und wurde dort einfach nicht weggenommen. Und durch diese dauerhafte Beräucherung ist er wahrscheinlich konserviert worden."

Im Zweiten Weltkrieg versank Friesoythe in Schutt und Asche, aber der letzte Erbe des Schinkens hatte diesen kurz vorher auf seinen Hof außerhalb des Städtchens mitgenommen. Als nach seinem Tod der Haushalt aufgelöst wurde, erinnerte sich der Heimatverein an die alte Geschichte und sorgte dafür, dass der legendäre Schinken der Stadt übergeben wurde. Er wurde zunächst jahrzehntelang in einer Friesoyther Grundschule ausgestellt. Seit dem Jahr 2008 ist er in einer eigenen Vitrine im Rathaus zu bewundern.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 28. Dezember 2020, 10:40 Uhr

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