Die regionale Reportage Gedenken an die Toten: der alte jüdische Friedhof in Hagen

ein Grabstein mit hebräischer Inschrift
Der alte jüdische Friedhof in Hagen liegt im Wald. 1938 wurde er in der Reichsprogromnacht zerstört. 1945 mussten Hagener Männer ihn wieder herstellen. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Am Ortsrand von Hagen im Landkreis Cuxhaven liegt der Döhrener Forst. Wenn man in den Wald hineingeht, steht man ziemlich unerwartet vor einem alten Friedhof. 150 Jahre lang wurden dort Menschen jüdischen Glaubens bestattet. Eine der letzten Beerdigungen wurde 1935 zum Politikum.

ein schwarzer Marmorgrabstein, dahinter und links Grabsteine aus Sandstein

Versteckt im Wald: der alte jüdische Friedhof in Hagen

Alte Grabsteine mit verwitterten Inschriften, teils in hebräischer, teils in deutscher Sprache: Der kleine Friedhof in Hagen erinnert an die jüdische Gemeinde.

Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Verwunschen wirkt dieser Ort, vielleicht auch ein wenig düster: Verwitterte, grün bemooste alten Grabsteine, dazwischen liegt orangefarbenes Herbstlaub auf dem Boden. Es wirkt, als sei lange keiner hier gewesen. Nur der neue Staketenzaun scheint nicht wirklich ins Bild zu passen. Einige Grabsteine tragen hebräische Inschriften, andere deutsche in geschwungener Schrift, kaum noch zu lesen, wieder andere Inschriften in beiden Sprachen.

Alter Friedhof mit Geschichte

Den Friedhof der jüdischen Gemeinde gibt es seit 1786. Ihre Mitglieder kamen aus einem Gebiet von Altluneberg im Norden bis Uthlede im Süden. Auf dem älteren Teil des Friedhofs wurden Menschen beerdigt, die der strenggläubigen Richtung angehörten, erzählt Hansdieter Kurth. Der Hagener hat lange für die Heimatzeitung gearbeitet und sich auch mit der Geschichte des jüdischen Friedhofs beschäftigt.

ein schwarzer Marmorgrabstein, dahinter und links Grabsteine aus Sandstein
Die meisten Grabsteine sind aus Sandstein. Aber es gibt Ausnahmen, wie diesen schwarzen Marmorstein. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Ab 1844 finden sich auf dem nördlichen Teil die Grabstätten von Menschen, die ein liberales Judentum lebten. Das könne man an der Ausgestaltung der Grabsteine erkennen. "Wir haben Grabsteine ganz unterschiedlicher Machart. Grabsteine, die man allgemein so kennt, flach, hoch, bescheiden. Aber auch etwas stärkere mit einer Sandsteinplatte oder sogar einen Marmorstein mit einer Grabeinfriedung."

Auf einem kleinen Stein nahe am Eingang sind verwitterte Blumenranken zu erkennen. Er gehört Ida Leeser, einer sehr beliebten Handarbeitslehrerin aus Hagen, gestorben am 16. Juli 1935, erzählt Kurth.

"Ida Leeser war beliebt bei den Eltern, aber auch im Ort selber, und ihr, wie ich finde, sehr eindrucksvoller Spruch war: 'Besser klein und kregel als groß und ´n Flegel'. Und was ihre Religiosität anbetrifft: So nach dem Motto 'Leute, was wollt ihr eigentlich, wir glauben doch alle an den gleichen Gott.'"

SA-Angehörige im Trauerzug einer jüdischen Frau

Ida Leeser habe Toleranz gelebt, sagt Hansdieter Kurth. Ihrem Trauerzug aus dem rund einen Kilometer entfernten Ort zum Friedhof folgten auch Menschen, die nicht zur jüdischen Gemeinde gehörten. Sogar zwei SA- Angehörige in Uniform waren dabei. Sie wurden wenig später aus der Partei ausgeschlossen.

verwitterter Grabstein aus Sandstein von Ida Leeser
Der Grabstein von Ida Leeser war mit Blumenranken verziert. Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Der Trauerzug wurde zum Berichtsgegenstand der örtlichen Tageszeitungen. Aus der Nordwestzeitung vom 26. Juli 1935:

 "Wie wenig ein großer Teil unserer Bevölkerung bisher über die Judenfrage aufgeklärt ist, zeigte eine Judenbeerdigung, die kürzlich in Hagen stattfand. Viele deutsche Volksgenossen schickten Kränze zum Trauerhaus, und nicht wenige Volksgenossen gingen am Nachmittag zur Beerdigung der verstorbenen Jüdin. Der Rabbiner stellte dies auch fest, als er die deutschen Volksgenossen […] mit Handschlag begrüßte. Als sich der Trauerzug dann zum israelitischen Friedhof in Bewegung setzte, folgten dem auf dem christlichen Leichenwagen gefahrenen Sarge in buntem Durcheinander mit den Juden deutsche Volksgenossen."

Gedenken an die jüdische Gemeinde

Ida Leesers Beerdigung war eine der letzten auf dem Friedhof. In der Reichspogromnacht 1938 wurden die Steine umgestürzt und zum Teil zerstört, die Synagoge von Hagen wurde niedergebrannt. Von ihr ist nichts mehr übrig. Ein Hagener Bürger nutzte ihre verbrannten Rotklinkersteine für das Fundament seines Wohnhauses.

Nach der Kapitulation 1945 mussten Männer aus dem Ort die Grabsteine wieder aufrichten und den Friedhof wiederherstellen, auf Befehl der US-Soldaten, die in Hagen stationiert waren. Sieben jüdische Gemeindemitglieder waren nachweislich deportiert worden. An sie und die ehemalige jüdische Gemeinde erinnert heute ein Gedenkstein an der evangelischen Kirche in Hagen – und der  kleine Friedhof im Wald am Ortsrand. Frische jüdische Gräber gibt es hier nicht.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 6. Dezember 2021, 10:40 Uhr.

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