Im Porträt Gilda Sahebi: Ihr Buch handelt von der feministischen Revolte im Iran

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Porträt von Gilda Sahebi
Gilda Sahebi ist gefragte Expertin, wenn es um die Ereignisse im Iran geht, Bild: dpa | Geisler-Fotopress/Thomas Bartilla

Der Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini hat im vergangenen Jahr Massen-Proteste gegen das iranische Mullah-Regime ausgelöst. Gilda Sahebi schreibt in ihrem Buch "Unser Schwert ist die Liebe" über die lange Geschichte der Unterdrückung im Iran und den Blick der Frauen darauf. "Was im Iran geschieht, ist feministische Weltgeschichte", sagt sie.

Porträt von Gilda Sahebi

Gesprächszeit Wegen ihrer Arbeit kann sie nicht mehr in den Iran fahren

Gilda Sahebi ist studierte Medizinerin und Journalistin. In ihrem Buch "Unser Schwert ist die Liebe" schreibt sie über die lange Geschichte der Unterdrückung im Iran.

Bild: Hannes Leitlein

Ein Jahr ist es her, dass die knapp 22-jährige Kurdin Jina Mahsa Amini durch Polizeigewalt im Iran getötet wurde. Gilda Sahebi kann sich noch gut erinnern wie sie das erste Mal von Amini erfuhr: "Auf Twitter war das. Da ging ihr Bild durch, wo sie mit Schläuchen im Körper, am Kopf, im Bett lag und im Koma lag."

Die ganzen Frauen haben kollektiv ihre Kopftücher abgenommen. Das habe ich noch nie gesehen!

Gildas Sahebi über die Beerdigung von Jina Mahsa Amini

Im ersten Moment dachte Gilda Sahebi noch, dass Amini eine von vielen ist, die so im Iran sterben müssen. Doch am Tag ihrer Beerdigung war Sahebi klar, dass Aminis Fall ein besonderer sein musste: „Die ganzen Frauen, die da waren, haben kollektiv ihre Kopftücher abgenommen. Das habe ich noch nie gesehen! Und dann kam noch hinzu, dass sie "Jin, Jiyan, Azadî" gerufen haben. Frauen, Leben, Freiheit."

Im Iran riskieren Menschen täglich ihr Leben

Aminis Tod hat im Iran monatelang massive Proteste in der iranischen Bevölkerung hervorgerufen. Es gab neue Verhaftungen, Erschießungen, Vergewaltigungen. Bis heute riskieren viele junge Menschen und insbesondere Frauen ihr Leben, weil sie ohne Kopftuch auf die Straße gehen oder sich der Repression entgegenstellen.

Eine Bewegung unter dem Namen "Frauen, Leben, Freiheit"? Das hätte ich nie im Leben geglaubt.

Was Gilda Sahebi noch im letzten Jahr über Protestbewegungen im Iran gedacht hat

Gilda Sahebi schreibt für deutsche Medien wie die taz, die Zeit und hat im Frühjahr ein Buch über die Geschehnisse geschrieben: "Unser Schwert ist die Liebe". Für sie ist das, was im Iran passiert, feministische Weltgeschichte: "Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, es wird eine Bewegung unter dem Namen "Frauen, Leben, Freiheit" geben, die das iranische Regime zum Wanken bringt – das hätte ich nie im Leben geglaubt."

Ihr Vater floh vor Verhaftung nach Deutschland

Die iranische Heimat war eigentlich immer Thema in Sahebis Familie. Ihr Vater hatte schon vor ihrer Geburt in Teheran für einen demokratischeren Iran gekämpft und floh vor seiner drohenden Verhaftung. Ihre Mutter kam zwei Jahre später nach als die kleine Gilda drei Jahre alt war. In Deutschland lebten sie zunächst zu dritt in einem Studentenzimmer, hatten aber großes Glück, auf hilfsbereite Menschen zu treffen, die der kleinen Familie bei der Wohnungssuche half: "Das macht einen riesigen Unterschied. Es macht einfach "den" Unterschied, wie man ankommt, wie man sich angekommen fühlt."

Da wird ein Teil des Herzens aktiviert, von dem man gar nicht wusste, dass man diesen Teil hat.

Gildas Sahebi über ihre Reisen in den Iran

In ihrer Kindheit konnte sie noch zwei Mal in den Iran zurückreisen, einmal als Sahebi sieben war, einmal als Teenager. Beide Male waren prägende Ereignisse: "In Deutschland hatten wir kaum Verwandte und kaum Kontakt zu iranischen Familien. Und im Iran waren alle da. Das fängt schon im Flughafen an: Man rennt aufeinander zu und heult und nimmt sich in den Arm. Da wird ein Teil der Seele oder des Herzens aktiviert, von dem man vielleicht gar nicht wusste, dass man diesen Teil hat. Und dieser Teil ist mir auch wieder gebrochen beim Abfliegen."

Zusammenstoß mit der Miliz

Gilda Sahebi hat bei ihrem zweiten Aufenthalt im Alter von 14 Jahren aber auch Erfahrungen gemacht, die ihr kindliches Bild vom Iran zerstört haben. Haare guckten aus ihrem Kopftuch heraus und ein Angehöriger der paramilitärischen Miliz schrie sie an und beschimpfte sie als Hure: "Ich bin total ausgerastet, weil ich das noch nie erlebt hatte. Und ich habe zurückgeschrien. Auf Deutsch, weil ich auf Persisch keine Schimpfwörter kannte." Glück für sie, dass der Mann sie nicht verstehen konnte und die Tante sie schnell weggezogen hatte.

Es ist schwer, mit diesem Schmerz umzugehen.

Gilda Sahebi kann derzeit nicht zurück in den Iran reisen

Gilda Sahebi ist studierte Medizinerin, hat dann aber den Weg in den Journalismus eingeschlagen. Heute kann Gilda Sahebi nicht mehr in den Iran einreisen. Einerseits wegen des politischen Hintergrunds ihres Vaters – andererseits, weil sie selbst politisch Stellung bezogen hat. Die geliebten Verwandten nicht mehr zu sehen oder bei ihrem Tod nicht zur Beerdigung fahren zu können, tut weh: "Es ist schwer, mit diesem Schmerz umzugehen".

Porträt von Gilda Sahebi
Gilda Sahebi Bild: Hannes Leitlein

Gleichzeitig spürt sie in Deutschland eine zunehmend belastende sprachlich-politische Atmosphäre und den Anstieg von rassistischer Gewalt: "Das macht etwas mit Menschen, die davon betroffen sind.“ Gedanken, Deutschland zu verlassen, kommen Gilda Sahebi häufiger, aber sie versucht, die schönen Dinge und die wertvollen Begegnungen zu konservieren: "Ich liebe es, mich mit jungen Menschen auszutauschen, was sie beschäftigt, was sie für Gedanken haben. Das ist so viel Mitgefühl da, Offenheit und Neugier. Neugier, die mich weghaut!"

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 12. September 2023, 18:05 Uhr

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