Die regionale Reportage Leberwurst und Aaltje Kolk: alte Flurnamen in Ostfriesland

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  • Gerhard Snitjer
Idyllische ostfriesische Landschaft (Archivbild)
In Ostfriesland gibt es wunderschöne Ecken – und manche von ihnen haben sehr sonderbare Namen. Bild: Imago | Priller & Maug

So manch alter Name von Flurstücken ist ziemlich lustig – oder erzählt eine tragische Geschichte. Für Ostfriesland wird ihre Bedeutung jetzt erforscht.

Langer schmaler Entwässerungsgraben in grünen Salzwiesen in Ostfriesland, darüber Beispiele für Flurnamen in Ostfriesland..

Die regionale Reportage Alte Flurnamen in Ostfriesland

Die alten Bezeichnungen von Flurstücken finden sich bis heute in den Karten der Katasterämter. Die "Ostfriesische Landschaft" erforscht ihre Bedeutungen.

Bild: dpa / Michael Narten | Montage Radio Bremen

Ein Feld, eine Senke, eine Anhöhe: Viele Flurstücke in Ostfriesland haben Namen, die Jahrhunderte alt sind und bis heute in den Karten der Vermessungsbehörden stehen. Die Ostfriesische Landschaft, ein Kommunalverband mit Sitz in Aurich, hat eine Sammlung der ostfriesischen Flurnamen angelegt, 73.000 sind es. Wissenschaftler*innen und Laien sollen sie jetzt erforschen.

Sie heißen zum Beispiel "Fünf Matt am Wege", "Achter de Peekfenne", "De beschlöteten Elf Dimt". Es gibt unhandliche Namen wie "De hogen langen Murkeln in der Hintermeede", und kurze, knappe, wie "Rosenhof" oder "Dreckstück". Navina Delor ist der wissenschaftliche Kopf dieser beeindruckenden Flurnamen-Sammlung. Und sie zieht aus den Daten wertvolle Informationen für eine ganze Reihe von Forschungs-Disziplinen. "Man kann sehr viel daraus lesen. Wie der Ort früher aufgestellt war, wer da gewohnt hat. Man kann das als Quelle nutzen für die Regionalforschung." Aber auch übergeordnet kann geforscht werden. Die Quellen sind auch für Biologen, Geografen, Historiker und Archäologen spannend.

Ein Acker namens "Leberwurst"

Die Sammlung steht im Internet, jeder Laie kann sie ansehen. Und manch ein Eintrag wirft Fragen auf. Zum Beispiel: Warum heißt ein rechteckiges Stück Acker bei Middels-Westerloog oder ein Stück Grünland bei Sandhorst ausgerechnet "Leberwurst"? Darauf gibt es bisher keine Antwort, sagt die Wissenschaftlerin. Denn nur ein Fünftel der über 70.000 Namen sind bis jetzt verlässlich gedeutet. "Leberwurst" war noch nicht dabei.

Langer schmaler Entwässerungsgraben in grünen Salzwiesen in Ostfriesland, darüber Beispiele für Flurnamen in Ostfriesland..
Viele alte Flurnamen in Ostfriesland geben Rätsel auf. Bild: dpa / Michael Narten | Montage Radio Bremen

Den Ursprung der Namen zu finden, ist in manchen Fällen recht verzwickt, sagt Navina Delor. Denn nach Jahrhunderten mündlicher oder mundartlicher Überlieferung wurden viele Namen vor knapp 200 Jahren erstmals in ein amtliches Kataster übernommen. Viele wurden dabei ins Hochdeutsche verändert, manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Die zur Zeit rund zwei Dutzend ehrenamtlichen Namensdeuter, die ihre Erkenntnisse nach und nach in die Sammlung einpflegen, müssen deshalb sehr viel über den Ort, seine Geschichte, die Landwirtschaft, die Familien und die lokale Mundart wissen.

Die Geschichten hinter den Namen

Manchmal offenbart sich dabei eine Geschichte, wie bei dem Flurnamen "Aaltje Kolk" auf der Insel Borkum. Ein Kolk ist ein kleines Gewässer, das bei einem Deichbruch entstanden und dann erhalten geblieben ist. Und wer war Aaltje? Die Datei gibt Auskunft darüber, was um 1840 passiert ist:

"Aaltje Oltmanns Bott diente einem allein stehenden Pastor 18 Jahre lang als Haushälterin. Dann heiratete er mit 48 Jahren –aber nicht Aaltje, sondern eine 20-jährige Frau aus seinem Heimatdorf. Und die Haushälterin? Im Kirchenbuch steht: Aaltje Oltmanns Bott ertränkte sich selbst in dem nördlichsten Kolke, im Alter von 51 Jahren."

Oft scheint auch die Herkunft eines Flurnamens ganz simpel, entpuppt sich durch Nachforschung aber als falsch. Das Flurstück "Schietfreter" klingt verdächtig nach einem Schimpfwort für die dortigen Bewohner. Gemeint sind mit dem alten ostfriesischen Wort aber Fische, genauer: eine Karpfen-Art. Denn früher war hier eine Wasserfläche.

Man darf gespannt sein, welche Details der Regionalgeschichte noch zum Vorschein kommen. Und irgendwann wird hoffentlich auch die Bezeichnung des kleinen Fleckchens Erde geklärt, das bei Sandhorst liegt, unweit der Flurstücke "Süd-Tjüchkamp", "Große Schlinge", "Hoppackersstück" und "Alschloot", und im Kataster den rätselhaften Flurnamen "Leberwurst" trägt.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 7. Dezember 2020, 10:40 Uhr.

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