Die Morgenandacht Wunde Punkte

Alexander Rolfes
Alexander Rolfes

Die Morgenandacht Wunde Punkte

Gott lässt zu, dass wir unsere Wunden zeigen, ist der Theologe Alexander Rolfes überzeugt. Schwächen und Ängste entwerten uns nicht.

Bild: Katholischer Gemeindeverband Bremen

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"War irgendwie ja auch klar, dass ich hier lande. Bei meiner Geschichte." Das sagte mir vor ein paar Jahren während eines Besuchs in einer JVA ein 17-jähriger inhaftierter Jugendlicher. Wegen mehrfachen Drogenhandels verurteilt worden, büßte er dort seine Haftstrafe ab. "Ich komme aus schlechten Verhältnissen, haben andere auch immer schon gesagt. Hab' eben schon früh alles versaut."


Diesen Charakterbogen hatte er für sich selber wie selbstverständlich ausgestellt. Ein Justizvollzugsbeamter sagte mir im Anschluss sinngemäß: "Ja, die machen hier zwar alle 'ne Ausbildung, damit werden sie bei Laune gehalten, brauchen ja irgendein ein Ziel da draußen. Aber was denen keiner hier sagt: dass die keiner da draußen auf dem Arbeitsmarkt will. Oder würden Sie so einen einstellen? Mit der Geschichte?" Zwei schnell gefällte Urteile: Der eine urteilt über sich selber, der andere über den anderen. Die Perspektive in beiden Fällen: Keine! Derartige Urteile wie gerade gehört werden täglich unzählige Male gefällt. In einer Gesellschaft, in der es um ständige Selbstoptimierung geht, sind Fehler, Versagen, Wunden, fehl am Platz. Es sind wunde Punkte.

Selbstoptimierung: Also der Wunsch, immer und ständig mit anderen mithalten zu können. Am besten immer besser werden. Besser sein als andere. Fotofilter und Face-Apps helfen dabei, kaschieren die von uns allen definierten Unstimmigkeiten des Gesichts, des ganzen Körpers. Künstliche Intelligenzen, ChatGPT zum Beispiel, schließen Wissenslücken in Echtzeit. Denn Lücken, also Schwächen, sind nicht gut! Weder im Lebenslauf noch im Gebiss! Diese Maßstäbe von richtig und falsch, Recht und Unrecht, schwarz und weiß, gut und böse, stecken tief in uns drin. Und es erfordert eine Bestrafung, wenn diesen Idealen nicht entsprochen werden kann. Entweder erfahre ich die Ächtung in meinem Umfeld oder ich sorge selber dafür. Entlarven diese Straffantasien nicht das eigentliche Problem?

Wir sagen damit eine ganze Menge über uns selber aus: Dass wir mit Vielem überhaupt nicht fertig sind. "Aber da kann ich doch gar nichts für! Meine Eltern sind schuld und schon deren Eltern waren an etwas schuld." Und so geht es immer weiter und wir werden diese eigenen Schatten und Fesseln nicht los.
Jesus glaubte an einen ganz anderen Gott. Und daher konnte er sein Leben auch ganz anders leben: Ein Leben als Mensch, der gezeigt hat, dass das Leben sich nicht anhand der Kategorien von Erfolg und Ansehen bemisst. Der zeigt, dass sogar im Scheitern Erfüllung liegen kann. Der uns von diesem schrecklichen Zwang zur Selbstoptimierung befreit. Von dem Zwang zu glauben, für sein eigenes Glück immer und ständig selbst verantwortlich zu sein. Vielmehr vertraut Jesus auf einen Gott, der zulässt, dass wir unsere Wunden zeigen. Sogar tödliche Verletzungen. Schwächen, Ängste, seelische Verwundungen entwerten uns nicht, lassen uns nicht an göttlichem Ansehen verlieren. Weil er sie selber gezeigt hat.

Autor/Autorin

  • Diplom-Theologe Alexander Rolfes

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