Schwerpunkt Warum gehen junge Menschen lieber zur Demo als zur Wahl?

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Junge Menschen von FridaysForFuture und anderen Verbänden demonstrieren für das Klima.
Bild: dpa | Sulupress.de/Marc Vorwerk

Die Bremer Bürgerschaftswahl im vergangenen Mai hat eine alarmierende Erkenntnis gebracht: Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten unter 30 ist zu Hause geblieben. Bedeutet das aber auch, dass dieser Personenkreis kein Interesse mehr an Politik hat? Bremen Zwei-Reporter Jim Laage hat Antworten auf diese Frage zusammengetragen.

Junge Menschen von FridaysForFuture und anderen Verbänden demonstrieren für das Klima.

Schwerpunkt Bewegung statt Partei? Warum junge Menschen Politik heute anders denken

Bremen-Zwei-Reporter Jim Laage ist der Frage nachgegangen, warum die Jugend politisch oft eigene Wege geht – und was das für unsere Demokratie bedeutet.

Bild: dpa | Sulupress.de/Marc Vorwerk

„Heutzutagen geht’s bei den Politikern nur um Machtspiele, um Geld. Die interessieren sich nicht für uns“ sagt Maxi aus Bremen. Und Sofian meint: „Ich habe kein Vertrauen mehr in die Regierung. Ich habe das Gefühl, dass die dir alle was vom Pferd erzählen. Die sagen 'Ihr kriegt das und das von uns', aber am Ende passiert nichts.“ Fragt man junge Bremerinnen und Bremer nach dem Grund, warum sie nicht zur Wahl gegangen sind, bekommt man häufig Antworten, die den Aussagen von Maxi und Sofian ähneln.

Für den Bremer Politikwissenschaftler Andreas Klee wäre es aber zu kurz gegriffen, aus der geringen Wahlbeteiligung generell ein mangelndes Interesse an Politik abzuleiten:

Dieser Mythos der nicht an Politik interessierten jungen Menschen – der ist Quatsch.

Andreas Klee, Politikwissenschaftler

Julia Reuschenbach vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin sieht das ähnlich: „Wir sehen, dass die Frage 'Wie relevant sind politische Entscheidungen für mein persönliches Leben' wieder stärker in den Fokus rücken."

Etablierte Parteien haben aus Sicht des Bremer Parteienforschers Lothar Probst zunehmend Schwierigkeiten, junge Menschen für sich zu gewinnen. Das Problem sei zum Teil hausgemacht. Der Bürgerschafts-Wahlkampf richtete sich demnach in erster Linie an die abhängig Beschäftigten, die bürgerliche Mitte und die ältere Generation.

Fridays for Future und Letzte Generation machen Parteien Konkurrenz

Daneben seien politische Bewegungen wie die Letzte Generation oder Fridays for Future in ihren Bereichen durchaus erfolgreich und erreichen viele vor allem junge Menschen. Andreas Klee sieht deshalb einen Wandel im Politikverständnis. „Die Interessen sind spezifischer, das heißt auf ein bestimmtes Thema gerichtet und sie sind kurzfristiger. Jugendlichen fällt es leichter, sich punktuell und für ein konkretes Thema zu engagieren.“

Dazu kommt: Parteien sind oft eher unbeweglich in ihren Strukturen. Wer hier etwas gestalten oder verändern will braucht einen langen Atem. Themen und Entscheidungen gehen oft lange Wege. Der Klimawandel könne darauf nicht warten, sagt Katharina Kewitz von Fridays for Future in Lübeck:

„Bis wir in einer Partei so viel Einfluss hätten, dass sich wirklich was ändert, ist das Zeitfenster in der Klimakrise vorbei. Wir haben die Problematik, dass wir jetzt was verändern müssen. Das Argument 'Werdet doch alle Politiker' funktioniert nicht, weil wir keine Zeit haben.“

Parteien müssen umdenken

Im Mai hat die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie veröffentlicht, die auf einer Befragung unter 16- bis 30-Jährigen basiert. Demnach kritisiert knapp die Hälfte die Funktionsweise der Demokratie generell. Gut die Hälfte der Befragten sagt auch, dass es keine Partei gibt, deren Angebot wirklich überzeuge. Aus Sicht von Julia Reuschenbach müssten Parteien junge Menschen bei allen Themen mitdenken, um das zu ändern. Es gehe dabei nicht nur um Themen wie Digitalisierung oder den Klimawandel.

Arbeit, soziale Sicherheit und Rente sind vor allem Themen, die junge Menschen umtreiben. Da fühlen sie sich von den Parteien aber nicht hinreichend inhaltlich angesprochen.

Julia Reuschenbach, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin

Andreas Klee sagt, „dass es unglaublich wichtig ist, Politik gut zu kommunizieren und Inhalte so vermitteln zu können, dass zumindest ein gewisser Anteil der Wähler weiß, was man da so macht. Das ist vor allem den Grünen nicht so gut gelungen und dafür wurden sie ziemlich abgestraft.“

Begeisterung durch sichtbare lokale Resultate

Die komplexen Probleme unserer Zeit, die Krisen und Herausforderungen, bräuchten Antworten und Lösungen. Gerade deshalb sei es so wichtig, dass Parteien ihren Job gut machen. Das zu vermitteln ist für Julia Reuschenbach entscheidend. „Insofern ist mehr denn je die Frage im Raum: Gelingt es, jungen Menschen glaubhaft zu machen, dass trotz der langwierigen Verfahren, trotz der Kompromisse, es sich lohnt, in Parteien mitzumischen?“

Für Andreas Klee ist dafür vor allem wichtig, dass Politik vor Ort greifbare Lösungen liefert – oft bei ganz kleinen Dingen. „Es geht nicht darum, schmissige Flyer zu entwickeln oder mehr auf Social Media präsent zu sein oder sonst irgendwas", so der Bremer Politikwissenschaftler. "Da ist ein kaputter Fußballplatz und dieser Fußballplatz muss in absehbarer Zeit wieder funktionieren. Und davon haben wir in Bremen ganz viele Dinge. Das ist etwas, was wirklich geändert werden muss, dass die Menschen Resultate sehen von Politik und dann kann man auch wieder Menschen dafür begeistern."

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei Der Morgen, 1. November 2023

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