Inflation: Wo beginnt eigentlich Armut?

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In einer Handfläche über einem Gemüsestand liegen verschiedene Euro-Münzen
Bild: dpa | pressefoto_korb/Micha Korb

Die Inflationsrate schwächt sich im fünften Monat in Folge ab. Doch die Inflation geht weiter, seit Beginn des Ukraine-Krieges sind Lebensmittel durchschnittlich zehn Prozent teurer geworden. Dadurch sind Menschen arm geworden, die bisher mit ihrem Geld ganz gut auskamen. Was heißt das für sie? Und was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Diesen Fragen ist Bremen-Zwei-Reporterin Julia Meichsner nachgegangen.

In einer Handfläche über einem Gemüsestand liegen verschiedene Euro-Münzen

Schwerpunkt Inflation: Wie die Armut sich in unsere Gesellschaft frisst

Das Thema Inflation hat spätestens mit dem Ukraine-Krieg eine Dimension bekommen, die für viele Menschen lebensverändernd ist.

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Viele sagen, sie hätten von Wirtschaft keine Ahnung, aber tatsächlich haben alle mitbekommen, was derzeit ökonomisch los ist: Das Leben hierzulande wird teurer und teurer. Die Preise für Öl, Gas und für Lebensmittel sind nach Beginn des Ukraine-Krieges teilweise drastisch gestiegen. "Ja," nickt eine Frau in der Fußgängerzone, "ich bestelle für eine Kita Frühstück und Mittagessen und alles ist deutlich teurer geworden. Wir werden die Preise für ein Essen im kommenden Jahr um 40 Cent erhöhen müssen."

Inzwischen wachsen die Preise langsamer als noch im vergangenen Jahr, aber nach oben geht es weiterhin. Ein besonderer Preistreiber sind dabei die Lebensmittel. Marcel Fratzscher, Ökonom, Politikberater und Professor für Makroökonomie sieht darin ein besonderes Problem: "Diese Inflation trifft besonders Menschen mit geringen Einkommen, weil sie auf die Dinge der Grundversorgung wie Energie und Lebensmittel nicht verzichten können."

Diese Inflation trifft besonders Menschen mit geringen Einkommen, weil sie auf die Dinge der Grundversorgung wie Energie und Lebensmittel nicht verzichten können.

Fratzscher, Ökonom, Politikberater und Professor für Makroökonomie

Wer weniger Geld hat, muss fast alles für die Dinge des Alltags ausgeben. Wenn sich hier die Preise empfindlich erhöhen, gibt es kaum Möglichkeiten, irgendwie auszuweichen. Patrick Meyer, Elektriker aus dem Umland von Bremen, versucht es trotzdem. Er hat eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Seine Freundin ist Blut spenden gegangen und er hat den Job gewechselt, um eine Lohnerhöhung zu bekommen. Und es wird gespart, eingekauft wird möglichst günstig und Leckereien wie Süßigkeiten, Nüsse und Chips sind gestrichen. "Man hat angefangen, zu gucken, was tut Not, worauf muss man jetzt erst einmal verzichten."

Hungern: Verzicht in der Krise

Verzicht ist auch die Reaktion von Millie Me in dieser Krise: Sie bekommt Bürgergeld, lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Bremen und alle vier müssen mit rund 2.000 Euro im Monat auskommen. Davon muss alles bezahlt werden. Und wie geht das, wenn alles teurer geworden ist? Darauf hat Millie Me, die ihren echten Namen lieber nicht hier lesen möchte, nur eine Antwort: hungern. "Ich esse nur noch zwei Mal am Tag, um Geld zu sparen."

Anfangs hat sich Millie Me noch gegen ihre Situation gewehrt. Sie schloss sich der Bewegung #ichbinarmutsbetroffen an, war auf X (ehemals Twitter) aktiv, hat von sich berichtet und ist im Sommer 2022 sogar auf die Straße gegangen. Sie ist dafür extra nach Hamburg gefahren und hat mit Gleichgesinnten und mit großen Schildern für mehr Geld und mehr Würde demonstriert. Doch diese Protestwelle war bald zu Ende, zu wenige Betroffene kamen zu den Veranstaltungen: "Leute, die kein Geld haben, können nicht einfach irgendwo hinfahren und demonstrieren", sagt Millie Me im Rückblick.

Trotz Arbeit armutsbetroffen

Dass der Armuts-Protest klein war und schnell abgeebbt ist, dürfte den Ökonomie-Professor Marcel Fratzscher nicht gewundert haben. Denn Armut in Deutschland sei mehr als Sparen bei den Lebensmitteln, sondern es ginge es um die soziale Teilhabe, sagt er. "Hat ein Mensch genug Einkommen, um Teil der Gesellschaft sein zu können?"

Die Frage, ob sie genügend Geld hat, um hierzulande noch mithalten zu können, würde Millie Me sicherlich verneinen. Auch Stefanie Kaiser von der Schuldnerberatung des Deutschen Roten Kreuzes, Kreisverband Bremerhaven sieht Grenzen. Bei ihr melden sich immer öfter Menschen, die arbeiten, und sich trotzdem das Leben hierzulande nicht mehr leisten können. "Die Zahl der Erwerbstätigen, die zu uns kommen, hat in den vergangenen zwei Jahren um 50 Prozent zugenommen", sagt Kaiser. Die weit überwiegende Mehrheit von ihnen muss Insolvenz anmelden. "Es ist eine Katastrophe", sagt Schuldnerberaterin Kaiser.

Die Zahl der Erwerbstätigen, die zu uns kommen, hat in den vergangenen zwei Jahren um 50 Prozent zugenommen. Es ist eine Katastrophe.

Stefanie Kaiser, Schuldnerberatung des Deutschen Roten Kreuzes, Kreisverband Bremerhaven

Und diese Katastrophe ist noch nicht zu Ende, auch wenn sich die Inflationsrate im fünften Folge im Monat abschwächt. Denn die Preise stiegen momentan noch weiter.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei Der Morgen, 20. Dezember 2023

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