Die Morgenandacht Der Zeitungsausträger

Ulrike Oetken
Ulrike Oetken

Die Morgenandacht Der Zeitungsausträger

Pastorin Ulrike Oetken hat ihn noch nie gesehen, aber er ist ein wichtiger Teil ihres Lebens. Jeden Morgen steht er kurz an ihrer Haustür.

Bild: Bremische Evangelische Kirche

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Ich weiß gar nicht, wann Herr B. das erste Mal zu uns gekommen ist. Das muss mindestens 10 Jahre zurück liegen. Vielleicht sogar 15. Ich weiß es nicht, gefühlt war er schon immer da. Jeden Morgen steht er vor unserer Haustür. Bei jedem Wetter macht es sich dafür auf den Weg. Im Winter bei Dunkelheit und Kälte im Sommer mit den ersten Sonnenstrahlen. Manchmal, wenn ich nicht gut schlafe oder einfach schon früh wach bin, höre ich seine Schritte auf der Treppe vor dem Haus. Ein kurzes Klappern, dann wieder Schritte. Das wars. Die Zeitung ist im Kasten. Ich habe Herrn W. noch nie gesehen. Ich habe auch noch nie seine Stimme gehört. Ich weiß, welche Schrift er hat. Sehr ordentlich mit runden Buchstaben. Damit schreibt er uns einmal im Jahr einen kurzen Brief. Es ist ein Gedicht mit einigen persönlichen Zeilen. Es liegt dann in der Adventszeit im Briefkasten Und wir antworten mit einer Karte und mit Schokolade und etwas Geld oder mit selbstgebackenen Keksen. Die liegen dann in der Zeitungsrolle unter dem Briefkasten. Am Tag darauf wartet dort ein Zettel von ihm, auf dem steht dann "Danke für die Kekse" oder "Danke für den Brief". Je nachdem. Danach hören wir wieder ein Jahr nichts von ihm, außer gelegentlich seine Schritte auf der Treppe. Ich mag das Geräusch. Es ist weder zu laut noch zu leise. Wenn er mal verreist ist oder krank, merken wir es sofort.

Herr B. ist der Zeitungsausträger, der uns jeden Morgen die Zeitung bringt. Wenn das jemand anderes macht, zur Vertretung, ist die Zeitung anders gefaltet, sie kommt später oder sie liegt auf der Fußmatte. Das war dann nicht Herr B. Gut, dass er manchmal Urlaub macht. Vielleicht ist er auch hin und wieder krank. Wir sind aber immer froh, wenn er wieder da ist. Es ist ein beruhigendes Gefühl, dass sich jeden Morgen jemand auf den Weg macht zu uns. Wenn ich morgens aufstehe und in die Zeitungsrolle schaue, denke ich: Herr B. war schon da. Das ist irgendwie so als ob jemand jeden Tag unaufdringlich nach dem Rechten sieht. Er bringt die Nachrichten des Tages. Er ist ein Bote des Weltgeschehens, er bereitet mich auf den Tag vor. In seinem Gedicht heißt es, dass er sich bei Sonne und Regen und Wind und Wetter auf dem Weg macht, um genau dies zu tun: Die Neuigkeiten zu den Menschen bringen.  Ich lese die Zeitung beim Frühstück und frage mich, ob Herr B. jetzt schon wohl wieder zuhause ist und sich ausruht. Ich könnte auch Radio hören oder fernsehen oder mit dem Smartphone einen Newskanal lesen. Aber das mache ich schon wegen Herrn W. nicht.

In der Bibel heißt es, dass Engel Boten sind. Sie bringen gute und schlechte Nachrichten zu den Menschen manchmal verschwinden sie, wenn sie ihren Auftrag erledigt haben, ganz plötzlich wieder. Sie machen nur so viel Aufhebens von sich, wie ihre Nachricht braucht. Sie kommen nicht wegen des Auftritts, sondern sie treten auf, weil es etwas zu sagen gibt hier und jetzt. Niemand könnte wohl sagen, wie sie genau aussehen. Aber sie hinterlassen Eindruck. So wie Herr B. Falls er heute Morgen schon wieder zuhause ist und Radio hört: Ich grüße Sie, Herr B. danke, dass Sie uns jeden Morgen mit leisem festem Schritt an unsere Haustür treten. Sie helfen uns, es mit dem Tag zu beginnen, denn Sie haben den Anfang schon gemacht.

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  • Ulrike Oetken

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