Neue Alben Jazz trifft auf Afrobeat
Standdatum: 11. August 2022.
Das Londoner Jazz-Kollektiv "Kokoroko" liefert ein gelungenes Debütalbum ab. Komponist Max Richter legt die "Vier Jahreszeiten" neu auf – und Ricky Ross singt ruhige Songs. Till Lorenzen, Sophia Fischer und Max Spallek präsentieren ihre Lieblingsalben der Woche.
1 Abwechslungsreiches Debütalbum
London ist derzeit eine der kreativsten Städte für jungen und häufig afro-britisch geprägten Jazz. Mittendrin ist das achtköpfige Kollektiv Kokoroko rund um Bandleaderin und Trompeterin Sheila Maurice-Grey. Obwohl bereits 2014 gegründet, hatte die Band bislang nur eine EP und ein paar weitere Singles veröffentlicht. Mit dem Debütalbum "Could we be more" haben sie sich Zeit gelassen.
Wie klingt's?
Kokoroko ist eine Band, die live viel improvisiert. Ihre instrumentalen Fähigkeiten spielt die Band auch auf den neuen Studiosongs voll aus: dreistimmiger Bläsersatz, Keyboards, Bass, Gitarre und zwei Drums sorgen für einen mitreißenden Sound. Die 15 Tracks sind eine Mischung aus Funk, Soul, Jazz und den westafrikanischen Stilen Afrobeat und Highlife. Die Songs atmen dabei den aufregenden Geist der modernen Londoner Subkultur, sind aber auch eine liebevolle Wertschätzung der Vergangenheit. Alle acht Mitglieder teilen eine Leidenschaft für alten Soul und westafrikanische Musik von beispielsweise Tony Allen, Fela Kuti oder Ebo Taylor.
Warum hören?
Jazz und Afrobeat seien junge und moderne Richtungen, die viel zu sagen haben, findet Frontfrau Sheila Maurice-Grey von Kokoroko. Die Band geht auf die Spurensuche nach Heimat und Geborgenheit, denn alle acht sind Briten, haben aber ihre Wurzeln in verschiedenen afrikanischen Ländern. Mal singen sie auf Englisch, mal in der nigerianischen Sprache Yoruba, dann wieder spielen sie reine Instrumentalstücke. Kokoroko haben mit "Could we be more" ein enorm abwechslungsreiches Debütalbum veröffentlicht.
2 Vivaldis "Vier Jahreszeiten" neu interpretiert
Als Kind war der britische Komponist Max Richter ein großer Fan der "Vier Jahreszeiten" von Antonio Vivaldi. Später war er von ihrer Allgegenwart in Werbung und Warteschleifen ziemlich genervt. Mit einer eigenen Bearbeitung der barocken Violinkonzerte wollte er die "Vier Jahreszeiten" vor zehn Jahren aus der Alltäglichkeit zurückerobern. Er hatte Erfolg: Sein Album "Recomposed" von 2012 wurde zum weltweiten Bestseller. Jetzt hat Max Richter seine Musikstücke noch einmal eingespielt.
Wie klingt's?
Dieses Mal sucht er nach einem originalen Klang. Das "Chineke! Orchestra" und die Geigerin Elena Urioste, die als Solistin auftritt, spielen auf historischen Instrumenten mit Darmsaiten und Barockbögen. Das klingt rauer und erdiger als die heute gängigen modernen Instrumente und es ist näher an den Klangfarben, mit denen Vivaldi selbst gearbeitet hat. Für Max Richter trifft es ein Erdnussbutter-Vergleich ziemlich gut: Der Unterschied im Sound sei wie der Unterschied zwischen zwei Varianten von Peanut Butter – einmal smooth und einmal crunchy. Am Synthesizer bricht der Komponist mit dieser Ästhetik. Die schroffe Qualität wird so wieder aufgeweicht. Manchmal auch zu sehr.
Warum hören?
"The New Four Seasons" von Max Richter sind vieles auf einmal. Nicht nur alt und neu, sondern auch groß angelegte Emotionen, die leider hin und wieder in den Kitsch abdriften. Trotzdem kann das Album als Soundtrack für lange Bahnfahrten oder im Konzertsaal bestehen. Ersetzen kann Max Richter "Die vier Jahreszeiten" von Vivaldi auch mit dieser Neuauflage nicht, aber das wollte er auch nie. Für ihn war das Projekt schon vor zehn Jahren eine Art "Bergungsmission".
3 Ruhige und nachdenkliche Töne von Ricky Ross
Wer über Ricky Ross sprechen möchte, muss erst einmal seine Band "Deacon Blue" erwähnen. Seit Mitte der 1980er Jahre ist Ross der Kopf der Band und hat neben anderen Bands wie "Aztec Camera", "Orange Juice" oder "Del Amitri" zeitweise den Sound Schottlands repräsentiert. Die Band-Alben sind häufig ausladend und mit üppigen Arrangements versehen, Ricky Ross' Soloalben hingegen spielen in einem anderen Klangfeld. Auch sein achtes Album "Short Stories Vol. 2" ist eine ziemlich ruhige Angelegenheit.
Wie klingt's?
Ricky Ross begleitet sich auf seinem neuen Album meist nur mit dem Klavier, nur hier und da ergänzt er ein paar Streich- oder Blasinstrumente in den eher funktionalen Songs. Die Aufnahmen sind ausgezeichnet, aber bieten klanglich keine großen Überraschungen. Das Besondere ist vielmehr die Kombination aus dem dezenten Klavierspiel und Ricky Ross' markanter Stimme, mit der er mal hoffnungsvolle, mal zutiefst melancholische Geschichten erzählt.
Warum hören?
Einige der Songs sind Neukompositionen, bei manchen Melodien hat sich Ricky Ross auch bei Songs seiner Band Deacon Blue bedient und sie neu inszeniert. Die mal mitreißend dramatischen, mal wehmütig zitternden Stücke machen "Short Stories Vol. 2" zu einer wunderbar nachdenklichen Platte. Keine Hits, aber ein guter Begleiter für den kommenden Herbst.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 12. August 2022, 10:00 Uhr