Die Morgenandacht Donnerstagnachmittag in Bremen

"Das Reich Gottes ist mitten unter Euch", sagt Jesus. Ein Satz, der Pastorin Ragna Miller auf einer orangefarbenen Bank vor dem Bremer Dom durch den Sinn geht. Wie schwierig ist es, an diesem Satz festzuhalten, sobald man sich aus der eigenen Komfortzone weg bewegt und Düsteres sieht?

Das Reich Gottes ist mitten unter Euch.
Ich sitze auf der orangefarbenen Bank vor dem Bremer Dom.
Vor mir streiten sich 3 Jugendliche über ein Foto. Der eine findet seine Haare nicht gut. Das Bild soll nicht auf Instagram. Die anderen sind genervt.
Ein Pärchen schaut sich tief in die Augen. Lächelt geheimnisvoll.
Ist sie schwanger? Wollen sie heiraten?
Ein dreißigjähriger Single fegt Unmengen von Kronkorken von den Domtreppen.
Die Leute um ihn herum haben Spaß. Er sieht unglücklich aus.
Aus dem Domportal höre ich Orgelsound. Und gegenüber, auf dem Marktplatz, spielt jemand ziemlich virtuos Bella Ciao auf dem Akkordeon.
Ich hatte mir das Reich Gottes irgendwie anders vorgestellt.
Pompöser vielleicht. Oder mehr Weichzeichner.

Vielleicht auch Glitzer und weiße wallende Wollleibchen.
Vielleicht auch einfach nicht wie Bremen an einem Donnerstagnachmittag.
Und weniger Armut. Weniger Armut hatte das Reich Gottes in meiner Vorstellung auf jeden Fall. Bereits die vierte Person spricht mich auf der Bank an.
Sie ist eine Frau um die 60 und sieht erschöpft aus.
Ich habe ein schlechtes Gefühl, denn in meinem Reich Gottes habe ich eine Wohnung, einen Job und eine Krankenversicherung, die nur meine Brille nicht zahlt.
Was würde sie sagen, wenn ich ihr zuriefe: Das Reich Gottes ist mitten unter uns.
Spinnst du? Hast du sie noch alle? Du kannst mich mal?
Oder: Na, schönen Dank auch. Wo ist denn die Gerechtigkeit und die Freiheit abgeblieben im Reich Gottes?
Vielleicht würde sie auch was ganz anderes sagen.
Aber ich trau mich eh nicht so laut vom Reich Gottes zu sprechen.

Ich schaue ihr hinterher, wie sie mit vier Taschen in Richtung Rathaus-Arkaden geht.
Du bist im Reich Gottes. Mittendrin.
Oft verstehe ich Gott und Jesus ja nicht.
Und das Reich Gottes ist ein komisches Konzept.
Ich gehe ihr hinterher und frage, wie sie heißt.