Auf der Bühne Premiere: "Franziska" – spektakulär in Szene gesetzt
Standdatum: 6. Dezember 2021.

Lust und Frust, Macht, Geschlechterrollen und Freiheitsdrang – Franziska ist eine junge Frau, die aus patriarchalen Strukturen ausbrechen will und sich nicht den Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft anpasst. Sie will mehr, vor allem Freiheit. Frank Wedekinds Stück "Franziska – ein modernes Mysterium" ist jetzt in einer modernen Version am Theater Bremen zu erleben.
Der Begriff "modern" ist dabei natürlich relativ. Schließlich stammt das Stück von 1912. Es wurde bis 1930 durchaus erfolgreich ein paarmal gespielt, geriet dann allerdings in Deutschland 70 Jahre lang in Vergessenheit. Die Bremer Inszenierung hat die Regisseurin Pinar Karabulut übernommen. Sie ist Jahrgang 1987, eine junge und vor allem eine feministische Stimme im Theaterbetrieb.
Quietschbunt und schrill auf die Bühne gebracht

Franziska wird in eine pinkfarbene Polly-Pocket-Puppenwelt versetzt. Das sind handtellergroße aufklappbare Plastik-Muscheln aus den 80er und 90er Jahren, in denen sich Wohn- und Themenwelten für kleine Figürchen auftun. Solch ein Konstrukt steht nun also im Menschen-Maßstab auf der Bühne: Die zweistöckige Wohnung, vorwiegend in Pink eingerichtet, ist ein quietschbuntes Puppenstübchen, in dem sich Figuren in schrillem Outfit puppenhaft bewegen. Wenn sie nicht gerade orgiastisch zucken, singen, tanzen, einander jagen oder auch einfach nur miteinander reden. Szenen einer Ehe im Polly-Pocket-Format mit Eifersuchtsdramen und Treueschwüren.
Spielerischer Umgang mit Wedekinds Stück
Die Inszenierung nutzt nicht nur ein Spielzeug als Bühnenbild, sondern sie spielt auch mit dem Stück. Genauso wie die Hauptfigur sich aus bürgerlicher Enge befreit, emanzipiert sich auch die Regisseurin Karabulut vom Autor Wedekind. Sein "modernes Mysterium" erzählt die Emanzipations-Geschichte von Franziska, die Freiheit und Unabhängigkeit nur als Mann erleben kann und darf. Sie schließt einen Vertrag mit einem mysteriösen Künstleragenten, der sie in den Sänger Franz verwandelt, sodass sie männliche Freiheiten leben kann. Karabulut kürzt, ergänzt und überdreht diese Geschichte.
Ich habe nun lange nicht studiert und bin so klug als wie zuvor. Alle singen das Lied der befreiten Frau, wie sie sich vor allem die Männer vorstellen, als Nymphomanin.
Aus dem Stück.

Der skandalträchtige Autor Frank Wedekind hatte sein Stück als "weiblichen Faust" bezeichnet. Eine Provokation, die die Bremer Inszenierung dankbar aufnimmt. Zum Beispiel mit einem verballhornten Zitat aus Goethes Werk: "Ich habe nun lange nicht studiert und bin so klug als wie zuvor. Alle singen das Lied der befreiten Frau, wie sie sich vor allem die Männer vorstellen, als Nymphomanin." An Goethe arbeitet sich Karabulut intensiv ab: Aus dem Sinnsucher Doktor Faustus wird mit Franziska eine Sinnlichkeits-Sucherin. Und aus dem stets verneinenden Geist Mephisto macht diese Inszenierung eine laszive Mephista.
Unterhaltsam mit viel Spielfreude dargeboten
Das Stück zeichnet sich durch einen freihändigen und sehr ironischen Umgang mit der Vorlage aus. Viele Szenen des Originals wurden weggelassen, Dialoge zu Monologen zusammengefasst und Figuren gestrichen. Dafür gab es eigene Texte, Songs, Knallfrösche, Flitterregen und Kunstnebel. Die Form ist im Grunde zum Inhalt geworden. Und die Freiheit, die die Hauptfigur sucht, wird hier als Spielfreude ausgetobt. Das geschieht durchweg sehr gekonnt, wobei Fania Sorel als Franziska besonders herausragt, weil sie selbst in dieser grellen Inszenierung immer noch zerbrechliche Seiten ihrer Figur zeigt.
"Wahrscheinlich kann man Wedekinds Stück als Gesellschaftsanalyse heute nicht mehr richtig ernst nehmen. Die Bremer Inszenierung tut es auf jeden Fall nicht. Sie reizt dafür die darstellerischen Möglichkeiten für einen visuellen Befreiungsschlag aus. Und das ist zumindest keine Minute langweilig", meint unsere Theaterkritikerin Christine Gorny.
Premiere: "Franziska – ein modernes Mysterium" im Theater Bremen
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 4. Dezember 2021, 11:50 Uhr