Im Porträt Armut war sein Kompass: Harry Belafonte ist mit 96 gestorben
Standdatum: 1. März 2022.

Er war ein Weltstar, Ausnahme-Musiker, unermüdlicher Mahner gegen Armut und Kämpfer gegen Ungerechtigkeit: Harry Belafonte. Einer der bedeutendsten amerikanischen Künstler des 20. Jahrhunderts ist nun gestorben. Unser Musik-Redakteur Harald Mönkedieck hatte ihn persönlich getroffen.
Gesprächszeit "I never left poverty" – Harry Belafonte
1927 kam Harry Belafonte – Sänger, Musiker, Entertainer, aber auch Bürgerrechtler und Kulturbotschafter – in Harlem in New York zur Welt. Seine ersten Lebensjahre waren geprägt von Armut und dem Kampf um Chancengerechtigkeit. Er verbrachte sie im Viertel der Schwarzen und in Jamaika, dem Heimatland seiner Mutter. Auch wenn Harry Belafonte später nicht mehr um seine Existenz fürchten musste, hat er die Armut nie verlassen, sagt der heute 95-Jährige: "Armut ist mein Kompass. Ich habe schon früh gelernt, dass das beste Abenteuer im Leben darin besteht, wie man etwas gestaltet, ohne überhaupt etwas zu haben. Wie man aus der Abwesenheit von Möglichkeiten etwas möglich macht."
Ich habe keine Toleranz für Ungerechtigkeit!
Harry Belafonte über seine innersten Werte
Um etwas aus seinem Leben zu machen, ging Harry Belafonte in den 1940er-Jahren auf eine New Yorker Schauspielschule, wo er auf Marlon Brando, Walter Matthau und viele andere traf. Es war die Zeit der Rassendiskriminierung. Jeden Tag spürte Belafonte, dass seine Hautfarbe einen Unterschied machte. Schon in den 1950er-Jahren unterstützte er deshalb die amerikanische Bürgerrechtsbewegung: "Ich habe keine Toleranz für Ungerechtigkeit, jeder Art von Ungerechtigkeit. Das ist in meiner DNA, in meinem Blut. Und wenn man in der Welt umher kommt, sieht man viel Ungerechtigkeit. Es wird dann ganz unmöglich, nichts zu tun zu haben."
Der Kampf gegen Ungerechtigkeit hat Belafonte stets durch sein Leben getrieben. Er traf auf Menschen wie Martin Luther King Jr. und zählte in den 1960er-Jahren zum engen Kreis des Predigers und Bürgerrechtlers. John F. Kennedy zählte auf seinen Rat, als er die Bewegung der Schwarzen für seinen Präsidentschaftswahlkampf gewinnen wollte. Später traf Belafonte auf Nelson Mandela, kämpfte gegen die Apartheid und wurde zum Botschafter des guten Willens von Unicef.
Songs mit politischer Botschaft
Seine "Calypso"-Musik kam mit fröhlichem Sound daher, der nur allzu oft die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens jenseits der Unterhaltung verdeckte. Wenn Harry Belafonte den "Banana-Boat-Song" sang, dachte er an seine Onkel, die die Schiffe der "United Fruit Company" beluden und diese Songs bei der zermürbenden Arbeit sangen: "Nicht jeder denkt ja gleich an Arbeit und all das Schwere, wenn er den Song hört. Aber ich habe Folgendes herausgefunden: Wenn man den Song nur lange genug singt, fragen sich die Menschen irgendwann: 'Was bedeutet das eigentlich?'"
Es war eigentümlich: Hier war ich. Ein schwarzer Amerikaner am Morgen der Bürgerrechtsbewegung, im Kampf gegen den Rassismus.
Harry Belafonte über seinen ersten Deutschland-Besuch nach dem Zweiten Weltkrieg
1956 besuchte der Welt-Star Harry Belafonte zum ersten Mal Deutschland, obwohl er zunächst gar nicht wollte. Als er damals in Berlin aus dem Flugzeug stieg, sah er eine trostlose Stadt: Nur wenige Frachtmaschinen starteten an dem grauen Tag, am Horizont die Silhouetten der ausgebombten Häuser, kaum Menschen waren zu sehen. Der Grund: Zu dieser Zeit galt noch ein Versammlungsverbot.

Doch im Hotel warteten Fans, die sich darüber hinweggesetzt hatten. Sie riefen: "Harry, Harry, Harry!", erinnert sich Harry Belafonte an diesen eindrücklichen Moment. Sprechchöre, die Harry Belafonte zuvor noch nicht einmal in den USA erlebt hatte. Als der Sänger dann im ausverkauften Theater "Hava Nagila" sang, ein altes hebräische Lied, hörte er rhythmisches Klatschen und Stampfen aus dem Publikum. Eine Offenbarung für den Amerikaner mit jamaikanischen Wurzeln: "Es war eigentümlich: Hier war ich. Ein schwarzer Amerikaner am Morgen der Bürgerrechtsbewegung, im Kampf gegen den Rassismus. Auf einer Bühne als schwarzer Amerikaner. Ich sang ein hebräisches Volkslied für ein Publikum, dessen Vorfahren noch wenige Jahre zuvor die Kultur der Juden auslöschen wollten." Immer wieder kam Harry Belafonte in den Folgejahren nach Deutschland – am liebsten nach Hamburg.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 1. März 2022, 18:05 Uhr