Auf der Bühne Theater Bremen: "Erbarmen" lädt zum Nachdenken ein
Standdatum: 23. März 2022.

Die Regisseurin Alize Zandwijk bringt die Uraufführung "Erbarmen" in einer Kombination aus Musik und Schauspiel auf die Bühne. Ein Stück, das große und essentielle Fragen stellt. Die Antworten muss das Publikum selbst finden. Bremen Zwei-Reporterin Anna Postels hat sich die Premiere angesehen.
"Erbarmen" – Schauspiel-Premiere am Theater Bremen
Mit wem haben wir Mitgefühl und mit wem eben auch nicht? Wem helfen wir und wem nicht? Wie leben wir mit der Natur? Was löst unser Mitgefühl aus? Wo empfinden wir Schuld? Diese Fragen stellt die neue Inszenierung von Regisseurin Alize Zandwijk ihrem Publikum. Und diese Fragen stellte sich auch das Ensemble. Bei der Erarbeitung des Stückes setzte es sich mit dem Begriff "Erbarmen" auseinander. Als Inspirationsquelle diente die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, die Geschichte vom Leidensweg Jesu vom Abendmahl bis zur Kreuzigung.

Wo bleibt der Mensch?
Aufgeführt wird eine verkürzte und modernisierte Version der Matthäus-Passion, kombiniert mit Textfragmenten und kleinen Szenen: Ein Mann liegt jahrelang tot in seiner Wohnung. Niemand vermisst ihn. Eine Krankenpflegerin muss ihren Patienten nach einer Checkliste pflegen. Sie verzweifelt darüber, nicht menschlich pflegen zu können. Ein Obdachloser geht einmal im Jahr zum Frisör, an seinem Geburtstag; er spart lange darauf. Und wird behandelt wie ein Stammkunde, den Haarschnitt bekommt er geschenkt. Dazu Szenen, in denen es um Umweltzerstörung oder Krieg geht. Der Krieg gegen die Ukraine ist nicht vordergründig Thema, schwingt aber immer mit.
Endzeit-Stimmung
Thomas Rupert hat die Bühne in einen grau-schwarzen Wald verwandelt, zerstört wie nach einem Waldbrand. Nur die Baumstämme sind noch übrig. Auf dem Boden liegt grauer, knirschender Schotter. Das sieht nach Apokalypse, nach Endzeit aus. In der Mitte der Bühne stehen Stühle im Halbkreis. Hinten befinden sich die Musikerinnen und Musiker – ein Streichquartett, Kontrabass, Klarinette, ein Klavier, ein Mandolinspieler.

Gespielt wird im ganzen Bühnenraum. Das Besondere dieser Matthäus-Passion: Die Schauspielerinnen und Schauspieler singen gemeinsam mit den Sängerinnen und Sängern. Dieser gemischte Chor überzeugt. Es ist kein absolut perfekter Klang. Das leicht Unperfekte machte den Reiz aus.
Anregung zum Nachdenken
Das Stück stellt große und essentielle Fragen nach Leid, Mitleid, Mitgefühl, Sorge und Fürsorge. Einige Szenen berühren und regen zum Nachdenken an. Andere wiederum sind sehr abstrakt und verwirrend, mit immer wieder denselben Bewegungen oder Handlungen. Sie bieten Gelegenheit für offene Deutungen.
Hoffnungsmoment zum Schluss
Trotz der schweren Themen: "Erbarmen" ist kein Betroffenheitstheater, das auf die Tränendüse drückt. Die Inszenierung erinnert teilweise an Tanztheater und wirkt performativ. Sie lässt Platz für die eigenen Gedanken. Und wenn man – gerade in diesen Zeiten – eher pessimistisch auf die Welt und die Menschheit schaut, gibt das Stück am Ende einen poetischen Moment der Hoffnung: Der graue Wald wird ein klitzekleines bisschen grün, aus den Bäumen sprießen frische Triebe.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 20. März 2022, 9:38 Uhr