Lieblingsmensch Diese Bremerin kümmert sich um geflüchtete Schwangere und ihre Babys

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Andrea Lehmann steht vor einem Babybett
Bild: Radio Bremen | Lieselotte Scheewe

In unserer Reihe Lieblingsmenschen erzählen wir von Menschen, die sich besonders engagieren, die anderen helfen, Gutes tun – in ihrem Job oder auch ehrenamtlich. Andrea Lehmann ist für uns so eine Alltagsheldin. Sie ist Hebamme und kümmert sich in der Zentralen Aufnahmestelle in Bremen um geflüchtete Frauen und ihre Babys.

Andrea Lehmann steht vor einem Babybett

"Jedes neugeborene Kind soll einen guten Start haben" – Andrea Lehmann

Oft sind es bis zu 15 Patientinnen, die Andrea Lehmann am Tag betreut. Sie kommt als selbstständige Hebamme in die Zentrale Aufnahmestelle für Geflüchtete.

Bild: Radio Bremen | Lieselotte Scheewe

Vorbei am Wachpersonal, an Gruppen wuselnder Kinder und Erwachsener, bahnt sich Andrea Lehmann den Weg zu ihrem Zimmer. Vor ihrer Tür warten vier schwangere Frauen. Eine Frau hält ihr neugeborenes Baby auf dem Arm und lässt sich erschöpft auf einen Stuhl fallen. Eine andere streicht über ihren Bauch, atmet schwer und wischt sich Schweißperlen von der Stirn. "Now we start. Who is the first?", fragt Andrea Lehmmann und schließt ihre Tür auf.

Jeden Dienstag ist Andrea Lehmann in der Zentralen Aufnahmestelle für Geflüchtete in Bremen-Nord. Dort untersucht und betreut die Hebamme schwangere Frauen und Mütter mit ihren Neugeborenen. Ihre erste Patientin an diesem Tag ist seit zwei Wochen in Deutschland. Ihr Baby wird bald auf die Welt kommen. Die Hebamme guckt, ob es dem Kind und der Mutter gut geht. Sie misst den Blutdruck der jungen Frau und tastet ihren Bauch ab. Alles ist in Ordnung und die notwendigen Papiere sind ausgefüllt.

Jede Frau, die hier ankommt, hat einen Weg hinter sich – oft einen mit viel Angst.

Andrea Lehmann, Hebamme

Für Geburtsvorbereitung mit Aromatherapie, Ölmassage, Hypnose und Yogastellungen ist hier keine Zeit. Die Frauen, die Andrea Lehmann untersucht, haben andere Probleme. "Jede Frau, die hier ankommt, hat ja einen Weg hinter sich – einen mit viel Angst", sagt Andrea Lehmann.

Als selbstständige Hebamme kommt Andrea Lehmann an ein oder an zwei Tagen in der Woche in die Zentrale Aufnahmestelle. An den anderen Tagen arbeitet sie in einer Frauenarztpraxis. Seit 31 Jahren ist sie Hebamme. Seit 2015 arbeitet sie in der Aufnahmestelle, weil der Hausmeister sie anrief. Lehmann erinnert sich: "Ich war in zwei anderen Übergangswohnheimen schon als Hebamme tätig. Dann wurde das hier eröffnet. Und ein Hausmeister, der vorher in einem anderen Übergangswohnheim gearbeitet hatte, rief an und sagte: 'Andrea hier sind gerade zehn Frauen angekommen, schwanger oder mit Neugeborenen. Du musst kommen.'"

Jedes Kind, das auf die Welt kommt, soll einen guten Start haben. Egal, ob man geflüchtet oder Ur-Bremer ist.

Andrea Lehmann, Hebamme

Seitdem kümmert sie sich um die geflüchteten Frauen und ihre Neugeborenen und verständigt sich dabei manchmal mit Händen und Füßen. Denn nur selten kann eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher dabei sein. Wenn es sehr voll ist, kommt sie erst spät abends nach Hause.

Wichtig ist Andrea Lehmann, dass die schwangeren Geflüchteten gut ankommen. Sie schaut, was für die Frauen und ihre Babys wichtig ist und bindet sie gut an die Fachärzte an. Dabei wendet sich die Hebamme mit viel Geduld den Frauen zu. Sie guckt genau, wer welches Problem hat. Zu ihrer Arbeit gehört auch, dass sie gut vernetzt ist. Und die energische 54-Jährige hakt auch zwei oder dreimal nach, wenn sie nicht weiterkommt.

Auf viele Schicksale guckt halt niemand drauf. Dann sind sie hier und das kommt raus und manchmal heulen wir auch zu zweit.

Andrea Lehmann, Hebamme

Eine Frau erzählt, dass ihr Vater kurz vor der Flucht gestorben sei. Sie musste ihre älteste Tochter zurücklassen, damit die sich um die verwitwete Großmutter kümmert. Andrea Lehmann erfährt so etwas oft bei ihrer Arbeit: Flucht heißt auch, dass Familien auseinandergerissen werden. "Hinter jeder geflüchteten Frau steht auch ein einzelner Mensch, der seine Probleme und sein Schicksal hat. Und diese Schicksale sind einfach blöd. Wenn ich der Sprache mächtig wäre, dann könnte ich mich ausdrücken und die Schicksale vielleicht bearbeiten. Aber die Frauen haben hier gar nichts, sie gehen von einem Termin zum nächsten, was auch notwendig ist. Aber auf viele Schicksale guckt niemand drauf. Dann sind sie hier und das kommt raus und manchmal heulen wir auch zu zweit."

Für diese Situationen braucht Andrea Lehmann ein dickes Fell. Die Gedanken versucht sie abzuschütteln, wenn sie nach Hause geht. Die Frauen tragen sie mit sich. All ihre Probleme und Sorgen kann die Hebamme nicht lösen. Aber sie geht mit ihnen die nächsten Schritte für die Geburt.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 30. April 2022, 13:40 Uhr

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