Die Morgenandacht Am Abgrund

Ulrike Bänsch
Ulrike Bänsch

Die Morgenandacht Am Abgrund

Notfallseelsorge ist Seelsorge in höchster Not. Seit 25 Jahren gibt es sie in Bremen. Pastorin Ulrike Bänsch erzählt, wie sehr sie selbst einmal in solcher Not diesen Halt gebraucht hätte.

Bild: Bremische Evangelische Kirche

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Notfallseelsorge ist Seelsorge in höchster Not. Seit 25 Jahren gibt es sie in Bremen. Pastorin Ulrike Bänsch erzählt, wie sehr sie selbst einmal in solcher Not diesen Halt gebraucht hätte.

Die Notfallseelsorge gibt es in Bremen seit 25 Jahren. Gott sei Dank. Für mich gehört sie zu einer der wichtigsten Aufgaben, die die Kirche in der Stadt leistet.

„Für Menschen dazu sein, wenn sich der Boden unter ihnen auftut und nichts mehr ist, wie es bis eben war – das ist die Kurzbeschreibung dessen, was Notfallseelsorge tut“, so hat es Pastor Peter Walter ausgedrückt. Er war vor 25 Jahren ein entscheidender Initiator für die Einrichtung eines Notfallseelsorgeteams in Bremen. Völlig unabhängig von Religion und Glaube leisten die professionellen Notfallseelsorgenden seitdem bei Unglücken und Katastrophen erste Hilfe für die Seele und geben Halt im Abgrund.

Vor mehr als 30 Jahren habe ich selbst einmal eine Situation erlebt, in der Notfallseelsorge gefehlt hat:

Der junge Polizist steht bei uns im Wohnzimmer. Es ist still, so still, dass jeder Atemzug das Schweigen durchdringt. Nur draußen zwitschert eine Amsel, und der Kater miaut an der Terrassentür. Der Abgrund ist nur drei Worte entfernt. Ich ahne bereits, dass er sich gleich auftun wird. Aber noch will ich es nicht wahrhaben.
Der Polizist ist allein gekommen, und ich bin allein zu Hause. "Wir warten bis dein Vater zurück ist", sagt er. Stille. Aus wenigen Minuten werden gefühlte Stunden. Dann hören wir die Haustür. Mein Vater betritt das Wohnzimmer. Der Polizist verliert jetzt keine Zeit mehr und sagt gerade heraus: "Wir haben ihn gefunden. Er ist tot." Einen kurzen Moment versuche ich mir noch einzureden, dass es sich ganz bestimmt um eine Verwechslung handelt. Dass mein großer Bruder gleich fröhlich zur Tür hereinkommen wird. Aber die Personenbeschreibung ist eindeutig. Sie lässt keinen Platz für Zweifel. – Der Abgrund öffnet sich.

Im Abgrund befinden sich Nebel, Verzweiflung, Schockstarre und Tränen. Es ist ein freier Fall aus allem, was eben noch selbstverständlich schien. Der junge Polizist tut, was er kann. Dafür bin ich ihm bis heute zutiefst dankbar. Aber er muss weiter. Später kommen Freunde, Nachbarn und die Pastorin unserer Gemeinde. Am Beginn des Abgrunds jedoch bleibt eine Leerstelle.

Einige Jahre danach wird die Notfallseelsorge in Bremen eingerichtet. Sie ist für die Leitstellen von Feuerwehr und Polizei rund um die Uhr erreichbar. Der junge Polizist müsste heute keine Todesnachricht mehr allein überbringen.

Wenn ich mich von heute aus frage, was im Abgrund Halt gibt, dann ist es die Liebe. Manchmal bleibt sie lange unsichtbar im Dunkel. Irgendwann vielleicht kannst du sie entdecken. Ich sehe sie zum Beispiel in dem Bemühen des jungen Polizisten und in den Menschen die da sind im Notfall. Ich finde sie in der Erfahrung, dass die Liebe am Ende immer stärker ist als der Tod, weil sie bleibt und bis in die Ewigkeit reicht.

Autor/Autorin

  • Pastorin Ulrike Bänsch

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